Mamma Mia! So vielen Muttergottes-Darstellungen begegnet man kaum einmal in einer Ausstellung mit zeitgenössischer Malerei. Im Museum Kurhaus Kleve präsentiert Karin Kneffel eine Serie, in deren Mittelpunkt Maria und das Christuskind stehen. Eine Überraschung, ist die renommierte Düsseldorfer Malerin (Jahrgang 1957), die einst bei Gerhard Richter studierte, doch bislang vor allem für ihre feinstofflichen Stillleben bekannt – pralle Trauben und reife Äpfel vergegenwärtigt Kneffel ebenso brillant wie samtige Teppiche oder Wassertropfen auf Glasscheiben.
Jetzt also der Schwenk zum Porträt: Bei ihren seriell aneinandergereihten Bildern hat sich die Künstlerin von der berühmtesten Mutter-Kind-Konstellation des Abendlandes inspirieren lassen. Präziser formuliert: Spätgotische Skulpturen, die Kneffel bei Erkundungstouren durch Kirchen entdeckte und fotografierte, markieren den Ausgangspunkt ihrer intimen Werkserie, die in Gestalt von Diptychen daherkommt.
Ein ziemlich exotisches Format. Die zweiteiligen Tafeln gehen zurück auf die Antike. Als kostbare Elfenbeinreliefs oder in Form von Gemälden waren Diptychen bis in die frühe Neuzeit verbreitet – vor allem als Haus- und Reise-Altärchen sowie als Doppelporträt, das anlässlich von Verlobung oder Hochzeit in Auftrag gegeben wurde. Andy Warhol, bekennender Katholik, hatte 1962 ein »Marilyn Diptych« gemalt, also die Muttergottes durch die Monroe ersetzt. Karin Kneffel, nach eigener Aussage nicht gläubig, allerdings katholisch aufgewachsen und sozialisiert, bevorzugt die Jungfrau Maria. Deren Kopf, angelehnt an eine historische Madonnenskulptur, füllt die eine Hälfte des Diptychons im Close-up-Format aus.
Die andere Hälfte nimmt der kleine Jesus ein – hier ist mehr Luft für den Hintergrund. Gemäß christlicher Theologie verdankt der Gottessohn seine Entstehung einer Jungfrauengeburt. Gleichwohl hat Karin Kneffel den Stiefvater Josef in ihre Serie eingebunden. Eine Art Ehrenrettung für den »Nährvater« Jesu, der innerhalb der Heiligen Familie bloß eine Nebenrolle spielt. Auf diese Weise erweist die Künstlerin ihm Respekt dafür, dass er »ein uneheliches Kind großzog«, wie Karin Kneffel anmerkt. Was Josef vermutlich keinen Kummer bereitete, weil seine Frau vom Heiligen Geist geschwängert wurde.
Übrigens stand ihr Ehemann Modell für den heiligen Josef. »Face of a Woman, Head of a Child« ist also nicht begrenzt auf die Paraphrase kunsthistorischer Vorgänger. Vielmehr erweitert Karin Kneffel die Serie durch Porträts aus ihrem Umfeld – Sohn, Schwiegertochter und Enkel zählen ebenso zum Personal wie eine Darstellung von Muttergottes und Christuskind, die sie mithilfe von Künstlicher Intelligenz generiert hat.
Weil sich die Malerin auf die Gesichter konzentriert und die christlichen Attribute weglässt, erscheint Maria als Mensch, nicht als göttliches Wesen. Anders als bei den Madonnen der Gotik, in denen gern das Mütterliche, Fürsorgliche betont wird, fehlt in den Bildern Kneffels die emotionale Bindung zwischen Mutter und Kind. Das Diptychon zergliedert das Paar, isoliert es auf separaten Tafeln im Mittelformat – Tuchfühlung suchen Mutter und Kind eher zum Betrachter als zueinander. Diese distanzierte Haltung fällt besonders auf, wenn man die Bilder mit Madonnenskulpturen aus der Sammlung des Museums vergleicht, die Valentina Vlašić, Kuratorin der Schau, als historische Folie in die Ausstellung eingebunden hat.
Seit dem 3. Jahrhundert bildete das Marienbild den häufigsten Gegenstand der christlichen Kunst. Diese Kontinuität ging infolge der Aufklärung in die Brüche. Karin Kneffels Malerei steht in einer Tradition der Entzauberung des Christentums, die sich bis ins frühe 19. Jahrhundert zurückverfolgen lässt. Der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel hat die Zäsur auf den Punkt gebracht: »Mögen wir die griechischen Götterbilder noch so vortrefflich finden und Gottvater, Christus, Maria noch so würdig und vollendet dargestellt sehen – es hilft nichts, unser Knie beugen wir doch nicht mehr.« Das wäre auch nicht im Sinne von Karin Kneffel. Ihre Mutter-Kind-Kunst fasziniert als Familienaufstellung, die existenzielle Bindungen behutsam zum Vorschein bringt, ohne je in Sentimentalität abzugleiten.
»Karin Kneffel: Face of a Woman, Head of a Child«
Museum Kurhaus Kleve, bis 18. Februar 2024
Museum Franz Gertsch Burgdorf, Schweiz, 23. März bis 1. September 2024