TEXT: MARTIN KUHNA
205 Mann zählt die skulpturale Belegschaft des LWL-Industriemuseums. Die Brigade ist seit 2011 auf der Dortmunder Zeche Zollern beschäftigt, wird aber als Leih-Arbeiter auch in anderen Museen eingesetzt, als Teil eines »einmaligen Zeitdokuments, das uns eine Epoche der Arbeitswelt vor Augen führt, die es so nicht mehr gibt«, wie Kuratorin Olge Dommer vom Industriemuseum schreibt. Allerdings hat diese Arbeiter-Truppe, entstanden zwischen 1850 und 1950 aus Bronze, Eisen, Aluminium, Porzellan und Holz, einen weitgehend bürgerlichen Hintergrund – und das sieht man ihr an.
Ganz bürgerlich ist auch die Geschichte der »Sammlung Werner Bibl«. Bibl arbeitete als Diplom-Kaufmann in Neuss, und es war ein vorgesetzter Manager, der ihn vor über 30 Jahren aufs Thema brachte. Der Chef sammelte Grafiken, und da sein neuer Angestellter im Ruhrgebiet wohnte, wurde er gebeten, sich gelegentlich nach neuem Material umzusehen. Als er dabei auf kleine Arbeiterskulpturen stieß, winkte sein Chef ab. Bibl kaufte selbst.
2003 lernte er den Wuppertaler Soziologie-Professor Klaus Türk kennen, der sich seit Jahren mit »Darstellungen von Mensch und Arbeit in der bildenden Kunst« beschäftigt. Türk brachte Eckhart Grohmann ins Spiel; der aus Schlesien stammende US-Unternehmer hatte in Milwaukee gerade ein Museum zum Thema »Man at Work« gegründet. Der unterdessen durchaus sachkundige Amateur Bibl half, die Skulpturenabteilung des Museums beträchtlich zu erweitern. Das weckte seine Begeisterung erst richtig. Sein Haus in Gelsenkirchen erlebte eine Invasion. Und wenngleich die Arbeiter nur 30 bis knapp 100 Zentimeter messen – sie drohten doch, die Wohnung zu dominieren.
Seiner Lebensgefährtin hatte Werner Bibl früh versprochen, dass es sich um ein zeitlich begrenztes Projekt handele. Mit Hilfe des amerikanischen Sammler-Kollegen Grohmann hatte er die Idee einer öffentlich zugänglichen Skulpturensammlung in Europa entwickelt. Als sich dann mit dem LWL-Industriemuseum der passende Platz für die 205 Arbeiter fand, unterstützte Grohmann den Ankauf, so wie er zuvor dafür gesorgt hatte, dass Professor Türk dem Katalog der Milwaukee-Sammlung einen ebenso üppigen Band über die »Sammlung Werner Bibl« folgen lassen konnte. Eine »erste Bestandsaufnahme« zur Thematik, schreibt der Professor im Vorwort, vielleicht geeignet, »Forschungsinteresse zu wecken«.
ARBEIT ALS POSE
Wer je bei körperlicher Arbeit innegehalten, verschnauft und sich womöglich auf sein Arbeitsgerät gestützt hat, wird den Spott kennen: »Wie ein Arbeiterdenkmal …« Die Leute wissen gar nicht, wie recht sie haben. Ein Blick auf Werner Bibls 205 Arbeiter zeigt, dass tatsächlich viele von ihnen eben nicht bei der Arbeit dargestellt wurden, sondern beim Posieren am Arbeitsplatz. Die Künstler standen wohl vor dem gleichen Problem wie heute jeder Fotograf, der »Menschen bei der Arbeit porträtieren« soll: Wer arbeitet, steht selten gerade da, sondern beugt sich, hockt, kniet. Und wer sich auf seine Arbeit konzentriert, wendet seinem Gegenüber selten das Gesicht zu oder blickt sinnend in die Ferne. Daher die »Arbeiterdenkmäler«, pausierend und auf Schaufel, Hammer, Hacke gestützt. Selbst die Allegorie »Le Travail« (1890) des Franzosen Émile-Louis Picault wird von einem Schmied gegeben, der eine Hand in die Hüfte stemmt und mit der anderen seine Zange berührt – und offensichtlich gerade nicht damit arbeitet. Also eher »Arbeiter« als »Arbeit«, aber auch das stimmt nicht ganz. Denn die Figur zeigt eigentlich einen Handwerker.
Das ist wiederum typisch für die Sammlung und das Genre »Arbeiterskulptur«. Es blühte zur Zeit der Hochindustrialisierung um 1900 auf, war häufig auf die industrielle Arbeitswelt bezogen und fand auch Auftraggeber wie Abnehmer im industriellen Umfeld. Werksbesitzer oder Manager aber waren nicht an Darstellungen interessiert, die viel von quälender Mühsal spüren ließen. Auch der mechanisierte industrielle Massen-Arbeitsplatz wurde ausgeblendet. Bei allem Stolz auf technische Errungenschaften und wachsenden Maschinenpark: Ihre bronzenen Bergleute, Gießer, Schmelzer, Schmiede ließen die Industriellen mit Tracht und emblematischen Werkzeugen so posieren, dass sie Arbeit als stolze Individuen personifizierten, kaum anders als in vorindustrieller Zeit.
Eine romantisierende, idealisierende Sicht war schon den Werken des Belgiers Constantin Meunier zu eigen, »Impulsgeber« des Genres Arbeiterskulptur, wie Kuratorin Olge Demmer schreibt. Er hatte aus eigenem Antrieb die düsteren belgischen Industriereviere bereist. Seine Plastiken zeigten zwar Menschen, die durchaus von ihrer schweren Arbeit gezeichnet waren. Er war aber auch bestrebt, ihre innere Stärke und Würde zu betonen, orientierte seinen Realismus an antiken Vorbildern. Kraft, Würde, Realismus, Pose – die »Sammlung Bibl« zeigt, dass diese Vorgaben Meuniers bei seinen Nachfolgern überwogen.
Das Interesse an Arbeiterfiguren, schreibt Klaus Türk, war Teil einer »bürgerlichen Repräsentationskultur«, die nicht nur Großskulpturen im öffentlichen Raum schätzte, sondern auch Kleinskulpturen »für Heim und Kontor« – manchmal als Kleinausgaben großer Plastiken. Es gab zahlreiche Kunstgießereien, die sich auf derlei »Ladenbronzen« spezialisierten. Sie belieferten bürgerliche Haushalte und Unternehmen, wo die Skulpturen als Büroschmuck und als Jubiläumsgeschenke dienten – je nach Rang abgestuft in Material- und Gestaltungsqualität. Es leuchtet ein, dass es in diesem bürgerlichen Umfeld wenig Raum gab für Abweichungen vom konventionellen, idealisierenden Standard.
Unter den renommierten Bildhauern war Bernhard Hoetger einer der wenigen, die Arbeiter mit Mitteln der Reduktion und Abstraktion darstellten, auch sozialkritisch. Obwohl seine Figuren offensichtlich »entartet« waren, diente Hoetger sich im Alter den Nazis an – vergeblich. Er emigrierte in die Schweiz und hatte keinen Anteil am Skulpturen-Boom mit »Kraft durch Freude«, »Arbeitern der Stirn und der Faust« und »Soldaten der Arbeit«. Hoetgers vielbeschäftigter Zeitgenosse Ernst Seger ging dabei so weit, einen Bergarbeiter – vor dem Krieg – mit stahlhelmartiger Kopfbedeckung auszurüsten.
Es lag nicht nur an solchen Exzessen, dass die Zeit der Arbeiterskulpturen bald danach endete. Mit dem Niedergang der mythisch aufgeladenen Montanindustrie, dem Verschwinden körperbetonter Arbeit und selbst des Begriffs »Arbeiter« kamen den Arbeiterbildnern die Sujets abhanden. Damals, sagt Werner Bibl, seien auch viele der kleinen Skulpturen aus der Zeit gefallen und beim Metallhändler gelandet. Zuweilen trifft Bibl noch auf welche und gibt ihnen daheim in Gelsenkirchen Unterkunft. Im Großen und Ganzen aber sei das Projekt beendet – auch weil es kaum noch ursprüngliche Besitzer gebe, aus deren Erbe sich der Liebhabermarkt speisen könnte.
Seine 205 Geretteten waren bis März fast vollzählig in der Hattinger Henrichshütte zu sehen. Ein großer Teil wird jetzt an das historische Museum Saarbrücken verliehen. Etwa 30 Kumpel figurieren in der aktuellen Bergbau-Ausstellung der Dortmunder Zeche Zollern. Sie erzählen – nein, eigentlich nicht von ihrer Arbeit. Sondern von Vorstellungen, Ideen und Ideologien zum Thema Arbeit, wie sie uns gelegentlich aus der Vergangenheit anwehen, an Maifeiertagen zum Beispiel.