Zwei feingliedrige Hände, gewandt und elegant. Die linke hält eine Nadel, mit der sie glänzend-dunklen Stoff durchsticht. Die rechte schützt ihren Mittelfinger mit einem Metall-Hütchen. Weil das Gesicht oft nicht genug verrät über den Charakter eines Menschen, richtet Alfred Stieglitz das Augenmerk in diesem 1920 fotografierten Porträt auf die Hände. Posiert hat die Malerin Georgia O’Keeffe, sie war 23 Jahre jünger als Stieglitz und dem berühmten Fotografen und Galeristen als Lebensgefährtin wie auch als Muse zugetan.
Stieglitz zeigt die Hände der Begehrten zum einen als schöne und geschickte Werkzeuge.
Nebenbei lässt er in ihrer Haltung aber auch ironisch sexuelle Doppeldeutigkeiten anklingen. Für Henri Buhl wurde die Begegnung mit diesem Bild zum Schlüsselerlebnis, Stieglitz’ »Hands with Thimble« weckten sein Interesse an Händen, und sie stachelten seine Sammelleidenschaft an. Während der vergangenen gut zehn Jahre hat Buhl, ehemals Investmentmakler und Anlageberater, über 1000 Fotos angehäuft. In der vom New Yorker Guggenheim Museum organisierten Ausstellung »Speaking with Hands« zeigt Essens Museum Folkwang jetzt einen qualitätvollen Querschnitt mit rund 160 Stücken aus dem beachtlichen Fundus. Man trifft auf viele, viele bekannte Namen – von Talbot bis Tillmans, von Steichen bis Struth, von Nadar über Nauman bis hin zu Shirin Neshat, die zwei beschriebene Hände wie ein aufgeschlagenes Buch erscheinen lässt.
Die weit und breit angelegte Kollektion des New Yorkers umspannt die ganze Geschichte des Mediums – reicht von den Bildproduktionen der Pioniere des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart. Sie zeigt Poetisches und Psychologisches, Surreales oder Konzeptionelles, Wissenschaftliches, Experimentelles wie Dokumentarisches.
Dabei müssen die Hände als Motiv durchaus nicht immer eine Hauptrolle spielen, gelegentlich treten sie nur am Rande in Aktion, streichen das Haar zurück, stützen den Kopf, halten eine Zigarette.
Zur Begrüßung schon vermittelt das Museum Folkwang eine Idee von Buhls großzügigem Zugriff auf das Thema: Eugène Ducretets 1897 entstandene Röntgenaufnahme gibt den Blick frei auf die Fingerknochen, daneben hängt das Fotogramm von László Moholy-Nagys Hand. Walker Evans fotografierte 1962 in der New Yorker Third Avenue ein Werbeplakat mit großer geöffneter Hand.
Und Maurizio Cattelans Bild von 1996 zeigt gleich fünf Hände, die mit ausgestrecktem Zeige- und Mittelfinger das Victory-Zeichen formen und alle zusammenfinden, um das Muster eines fünfzackigen Sterns zu bilden.
Der folgende Parcours ordnet das Material locker einzelnen Themenbereichen zu – ein System, das nicht zwingend, aber sinnvoll ist und Buhls freiem, oftmals subjektiven Sammlungssystem gerecht wird. Die Hände in den Bildern können Personen charakterisieren, sie können Zwischenmenschliches andeuten oder sich in Zeichensprache äußern, wie die Hände des großen Baumeisters Frank Lloyd Wright, der in einer Fotofolge von Pedro Guerrero allein mit Gesten seine Architektur beschreibt. Einige Aufmerksamkeit schenkt die Schau Arbeiten der 20er bis 50er Jahre, als Hände häufig fragmentiert in Fotogrammen und Montagen auftauchten. Ein berühmtes Beispiel bietet etwa Herbert Bayers Bild des »Einsamen Großstädters« von 1932. Es zeigt die Montage eines Handpaares mit aufgesetzten Augen vor einer mehrgeschossigen Hausfassade.
Farbig und großformatig setzt sich der Weg Richtung Gegenwart fort. Etwa zu Rineke Dijkstras Bild einer Frau, die ihr eben geborenes Baby in den Händen hält, oder zu Andreas Gurskys Riesenfoto einer jubelnden Menschenmenge. Hände über Hände. Angesichts all der Bilder von Händen in Essen berührt das 1993 entstandene Foto des »Magnum «-Fotografen Gilles Peress besonders.
Es zeigt einen Kriegsversehrten im französischen Krankenhaus von Sarajevo: Beide Arme streckt er empor – die Hände fehlen. Museum Folkwang, Essen. Bis 30. Juli 2006. Tel.: 0201/88 45 301; www.museum-folkwang.de