Zurück zu den Ursprüngen von Musik, Tanz und Theater. Tief hinein in das Kultische, wo der Mensch und der Himmel sich noch ganz nah sind. Meg Stewart setzt auf Zollverein in Essen das Publikum für „Celestial Sorrow“ nicht ins Amphitheater der griechischen Tragödie, sondern in den Kraal. Das Firmament aus hunderten von verschieden großen Glühbirnen, das die Künstlerin Jompet Kuswidananto geschaffen hat, hängt nur knapp über den Köpfen. Hier finden und erfinden Jule Flierl, Gaëtan Rusquet und Clair Vivianne Sobottke die Kunst aus dem Rausch.
Die Séace, die Rückführung an die Quellen, wird eingeleitet von Musikerin Mieko Suzuki, die mit Räucherstäbchen und knisterndem Funkgerät die Runde abschreitet. Hören wir im atmosphärischen Rauschen die Stimmen? Meldet sich im Störgeräusch die Vergangenheit? Der Kult und in der Folge die Kultur entsteht aus der Imitation. Urgrund der Musik ist die Nachahmung. Der tierischen Geräusche, des Knackens und Knisterns der Wälder. Das Theater hat seinen Anfang im Kampf, der zum Ritual wird, sobald die Tötungsabsicht genommen ist. Henri Michaux „unseliges Wunder“ kriecht leibhaftig herein. Die Verausgabung wird zu Trance im anschwellenden Puls, den der Soundtrack von Mieko Suzuki und Ikbal Simamora Lubys vorgibt, der mit Geigenbogen und Messern die Gitarre ins Sphärische schickt.
„Are You Experienced?“ Die Schamanen sind bei Jimi Hendrix, im Techno-Klub angekommen. Erschöpfung, Katastrophe, Zusammenbruch, Extase. Auslöschung, wortwörtlich. Der erste Teil des Abends endet mit einem langen und wunderbaren Black. Der Nullpunkt, der vollständige Exorzismus. Tabula rasa.
Aus dem Urdunkel kommen dann aber Bilder an die Oberfläche. Ganz schlichte Bilder aus der Erinnerung und aus der Zukunft sind es, die die drei Performer und Performerinnen beschreiben, als blätterten sie in einem Fotoalbum. Sie sind der Einstieg in die Bildwelten des Drogenrausches. Unmittelbar folgt die Paranoia und die Halluzination. Clair Vivianne Sobottke bettelt um unmögliche Hilfe. Jule Flierl als Seven-of-nine mit Ferengi-Ohren trällert absurde Kolleraturen aus dem Star-Trek-Universum. Maelstrom des kollektiven Bewusstseins. Gaëtan Rusquet erkundet seine veränderten taktilen Wahrnehmungen.
Das Rückführungsexperiment von Meg Stuart ist geglückt. Sie findet in „Celestial Sorrow“ Bilder für den kultischen Rausch, die sowohl für die erfahrenen wie unerfahrenen im Publikum funktionieren. Nach anderthalb Stunden endet alles mit einem schnellen Come-Down. Ist Kunst ohne den Exzess denkbar? Sind wir viel zu weit vom Kultischen, von der gefährlichen Extase entfernt? Vielleicht.
Weitere Termine: 23. und 24. November, 20 Uhr, Essen, PACT Zollverein, www.pact-zollverein.de