Aribert Reimann ist nicht nur einer der erfolgreichsten lebenden Opernkomponisten, er ist auch ein Konservativer. Sein Verständnis von Musikdrama hat die Wurzel bei Richard Wagner oder noch eher Richard Strauss. Wenn er auch mit letzterem nicht die an der gesprochenen Sprache orientierte Stimmführung teilt. Auf jeden Fall ist Reimann immer dem durchkomponierten literarischen Musikdrama treu geblieben. Alle Ansätze eines neuen Musiktheaters, wie sie Mauricio Kagel, Luigi Nono, Karlheinz Stockhausen, John Cage oder Morton Feldmann verfolgten, bleiben bei Reimann außen vor.
Auch die „Medea“ hält sich eng an den Text von Franz Grillparzer und erzählt chronologisch die Geschichte der zauberbegabten Kolcherin, die als Fremde in Korinth von König Kreon und ihrem Geliebten Jason verstoßen wird und schließlich aus Rache Prinzessin Kreusa und ihre eigenen zwei Söhne tötet, um zuletzt das sagenumwobene goldene Vlies nach Delphi zu bringen.
Enorme Kraftanstrengung
Die monströse Geschichte erfordert bei Aribert Reimann auch einen monströsen Orchesterapparat. Den setzt der Komponist allerdings äußerst ökonomisch ein. Zwar gibt es scharfe Attacken der Blechbläser, kreischende Streicherpassagen und dräuend metallische Schlagwerkballungen, aber das Tutti des Orchesters ist in den zweieinhalb Stunden der Oper selten. Die hochexpressive Dauerspannung der Oper kommt eher aus der extremen von großen Sprüngen und Koloraturen geprägten Partie der Medea, die beinahe durchgehend auf der Bühne ist. Eine enorme Kraftanstrengung, die Reimann-Spezialistin Claudia Barainsky in Essen souverän meistert.
Reimanns Komposition gibt der Medea von Anfang an die Oberhand, alle anderen Partien können nur gemeinsam gegen diesen Furor bestehen. Kreon (Rainer Maria Röhr) ist ein aalglatter Staatsmann, Kreusa (Liliana de Sousa) eine fast kindisch überdrehte Prinzessin. Sebastian Noacks Jason hält noch am ehesten mit gelegentlich heldischem Pathos dagegen. Einzig die Amme Gora der Marie-Helen Joël zeigt Ebenbürtigkeit. Der Herold, Countertenor Hagen Matzeit, ist von Reimann bewusst als außerhalb der Gesellschaft agierender fast unirdischer Charakter gestaltet. Robert Jindra führt Sänger und Essener Philharmoniker sicher durch die Partitur und behält die sorgsame Dosierung des Klanges immer im Griff.
Während bei der Uraufführung in Wien Medea über ein Lavafeld kletterte und in Berlin in Erde wühlte, entscheidet sich Bühnenbildner Frank Albert am Aalto für einen cleanen Look. Auf einer Treppenlandschaft aus Sichtbeton – die Betonoptik könnte durchaus überzeugender kaschiert sein – lagert der neonbeleuchtete Palast von Kreon. Ein gefalteter, edelstahlverkleideter Baukörper mit zackigen Linien und spitzen Fensterausschnitten wie vom Architekten Daniel Libeskind entworfen.
Wie ein hipper Frisör im Barber-Shop
Medea trägt rote Gewänder (Kostüm ebenfalls Frank Albert), Jason zunächst grüne Cargohosen und eine Motorradjacke im aktuellen Destroyed-Look. Später passt er seine Kleidung schnell dem Blau der korinthischen Königsfamilie an. Mit Bart und bis zu den Händen tätowierten Armen sieht er im blauen Anzug mit Weste wie ein hipper Frisör in einem Barber-Shop in Berlin Friedrichshain aus. Die Idee, durch die Kostümfarben Gruppenzugehörigkeiten zu signalisieren, ist etwas schlicht vordergründig und naheliegend.
Die allzu saubere und modische Ausstattung steht im krassen Gegensatz zu Reimanns erdigem atonalen Pathos und nicht zuletzt zur Archaik der Medea-Erzählung. Kay Links Inszenierung müsste hier eine Brücke schlagen. Mit der Hinzuerfindung eines Bewegungschores, der dem goldenen Vlies zugeordnet ist, wird das versucht. Der Einfall bleibt aber nettes Accessoire, das ohnehin nur zweimal – ganz zu Beginn, wenn Medea das Vlies vergräbt, und am Ende wenn sie nach Delphi flieht – zum Einsatz kommt. Ansonsten ist Links Personenführung vor allem lösungsorientiert. Das hat sicherlich seine Gründe auch in den enormen Anforderungen an die Sänger, die kaum Kapazitäten für differenziertes psychologische Spiel lassen. Stattdessen findet Link merkwürdige Bilder wie das, wo die zwei Knaben aus einem Eimer etwas, das aussieht wie Brotscheiben, in ein Loch auf dem Treppenabsatz werfen. Erst als der Herold samt silbernen Aktenkoffer später in dem gleichen Loch verschwindet, erschließt sich, dass es sich dabei wohl um ein Verließ handelt.
Auch die Videoeinspielungen helfen nicht wirklich weiter. Wenn Medea vom Tod König Pelias erzählt, sehen wir Überwachungskamera-Videos als Beweis. Eine nette Idee, die ansonsten in der Inszenierung keine Entsprechung hat. Wenn Kreusa durch das Geschenk Medeas bei lebendigem Leib verbrennt, werden Flammen auf die Palastfront projiziert. Eine gute Lösung, würde nicht das Bühnenbild gleichzeitig ruckelnd zurückfahren und so das Bild unschön verwackelt. So bleibt der Mut der Essener Oper, Reimanns Werk zu zeigen, und die tadellose musikalische Ausführung lobenswert. Szenisch wäre etwas weniger braves Handwerk schön gewesen.
Weitere Termine: 6., 11., 17. April, 15. Mai