INTERVIEW: ALEXANDRA WACH
Mit 25 Jahren debütierte er in einem ehemaligen Sarglager mit einer Josef Albers-Ausstellung. In Esslingen und Krefeld setzte sich Hans Mayer für die Op-Art ein und ließ auf seinen Vernissagen Rockbands auftreten. Selbst vor Theater-Events und Modenschauen eines Emmanuel Ungaro schreckte der Galerist nicht zurück. Mitbegründer der ersten Kunstmesse der Welt in Köln von 1967, zog er vier Jahre später zum Grabbeplatz nach Düsseldorf. Von hier aus entdeckte er die amerikanische Pop Art, integrierte die Fotokunst von Peter Lindbergh, Helmut Newton oder Dennis Hopper in sein facettenreiches Programm und holte die amerikanische Szene der 1980er an den Rhein, bevor die Protagonisten wie Basquiat oder Keith Haring viel zu früh aus dem Leben schieden. Jetzt bekommt der Senior-Galerist mit einem Faible fürs gattungsübergreifende Cross-Over den Art-Cologne-Preis 2015.
K.WEST: Herr Mayer, Sie schauen von Ihrem Schreibtisch aus auf blinkende Monitore von Nam June Paik. Warum haben Sie diese Arbeit ausgewählt?
MAYER: Obwohl sie schon fast 30 Jahre alt ist, scheint sie gar nicht gealtert. Sie versprüht immer noch eine unglaubliche Frische. Paik war als Professor an der Düsseldorfer Kunstakademie eher ein Außenseiter. Er hat das Unterrichten im Gegensatz zu vielen anderen aber sehr ernst genommen. Wenn er Deutsch sprach, hörte es sich gleichzeitig wie Englisch und Koreanisch an. Das hat aber gar nichts ausgemacht, denn verstanden hat man sich immer.
K.WEST: Dass Sie als ausgebildeter Industriekaufmann und Verkäufer von Designmöbeln 1965 eine »(op)art galerie« in Esslingen aufgemacht haben, versteht man nicht auf Anhieb.
MAYER: Mein Interesse für Kunst fing bereits in meiner Geburtsstadt Ulm an. Die Hochschule für Gestaltung mit Max Bill als Leiter hatte großen Einfluss auf mich. Dann traf ich den FAZ-Kunstkritiker Albert Schulze-Vellinghausen, der mich darauf brachte, eine Galerie zu eröffnen. Er empfahl mich auch bei Josef Albers, mit dem ich die erste Ausstellung machte und der damals in Deutschland ignoriert wurde. Esslingen hatte den Vorteil, dass eine Galerie mit kinetisch-konstruktivistischer Kunst dort in der Provinz sofort auffiel. Wir waren schnell ein Begriff in ganz Deutschland.
K.WEST: Da haben Sie ja auch mit spektakulären Crossover-Events nachgeholfen. Berühmte zeitgenössische Musiker, Modenschauen und das noch unbekannte Living Theatre traten bei den Vernissagen auf.
MAYER: Zum Beispiel hat auch Lily Greenham damals Schwitters Lautgedichte erstklassig vorgetragen. Wenn ich eine gute Eröffnung hatte, waren 600 bis 1000 Leute da. Die haben zwar kaum gekauft, aber das Echo war enorm. Bei den klassischen Kunstliebhabern kam das damals gar nicht gut an! Oder in Amsterdam hatte ich Julian Beck vom Living Theatre bei einer Ausstellung von Willem Sandberg kennengelernt, der damals mit seinen innovativen Museumsideen Furore machte. Ich lud die Truppe nach Deutschland zur Eröffnung von Julio Le Parc ein. Sie brauchten einen Bus, Duschen, eine Unterkunft. Ich gab ihnen einen Scheck über 3000 D-Mark ohne Quittung und hoffte, dass sie wirklich kommen. Das Landestheater in Esslingen war für Sonntag gebucht. Im Vorverkauf war alles ausverkauft, der Vorplatz voll von Menschen, unter ihnen wichtige Museumsleute, nur die Schauspieler waren nicht da. Es war peinlich. Plötzlich kam dann ein holländischer Bus vorgefahren, Julian Beck stieg aus und fragte ganz lässig: »Should we play here? Ok. Let’s start!« Damit begann die Vorstellung und dauerte schließlich über drei Stunden.
K.WEST: In Krefeld gingen Sie 1967 eine Partnerschaft mit der 30 Jahre älteren Pariser Galeristin Denise René ein und eröffneten dort eine Dependance zu Esslingen. 1969 kam dann noch eine zusätzliche gemeinsame Galerie in Düsseldorf dazu.
MAYER: Wir zeigten gleich in der ersten Krefelder Ausstellung »Vom Konstruktivismus zur Kinetik« unter anderem Victor Vasarely, Julio Le Parc und Heinz Mack. Dann ging 1967 durch die Weltpresse die Marina City von Bertrand Goldberg. Er war als Amerikaner einer der letzten Studenten am Bauhaus in Berlin gewesen, wo er bis 1933 im Büro von Mies van der Rohe gearbeitet hatte. Wegen der Nazis ist er zurück nach Chicago gegangen. Ich habe ihn dort 1966 besucht, und es war sofort eine große Sympathie da. Ich habe ihn gefragt, ob er nicht in Krefeld aus Anlass meiner Ausstellung »Kunst für die Architektur« einen Vortrag halten möchte. Er sagte zu, und auch der Architekt Werner Ruhnau, der zusammen mit Yves Klein, Norbert Kricke und Jean Tinguely das Musiktheater in Gelsenkirchen entwarf, war dabei. Um das Ereignis zu feiern, organisierte ich schnell ein Fest mit The Who, The Rattles und den Small Faces, die ich über den Besitzer des Star-Clubs in Hamburg vermittelt bekam. Ich war eben schon damals viel unterwegs.
K.WEST: Sie und Denise René haben also gemeinsame Aktionen realisiert, aber es gab auch unterschiedliche Einschätzungen von Kunst?
MAYER: Ja. Das Programm aus Frankreich dominierte lange, was ich unbedingt ändern wollte und auch tat – mit Namen wie Yves Klein, Lucio Fontana, Arman, Ellsworth Kelly oder Cy Twombly. Die Trennung kam dann aber erst 1986, sehr fair und mit großer Geste von Denise, obwohl ich den eigentlich rechtlichen Schnitt sehr schlecht geplant hatte, nämlich genau zur Eröffnung der Kunstsammlung in Düsseldorf. Mein eigenes Programm, fern der strengen Ausrichtung von Denise, habe ich eigentlich richtig erst um 1980 mit Warhol verfolgt. Sie war von dieser Entwicklung nicht gerade begeistert. Und auch bei den Museumsleuten brauchte es lange, bis sie Warhol ernst nahmen. Ab seinem Treffen mit Beuys bei mir in der Galerie kam er dann in den folgenden Jahren häufig zu mir, und die Einstellung zu seiner Kunst änderte sich so langsam.
K.WEST: Was zeigten Sie ihm?
MAYER: Wir sind kreuz und quer durch die BRD zu aufregenden Ausstellungen, zu herausragenden Kulturdenkmälern wie Barockkirchen und zu Sammlern gefahren. Kurz bevor Warhol 1987 starb, hatte ich einen großen Auftrag für ihn von Mercedes-Benz, über 80 Porträt-Bilder der legendärsten Automodelle. Später gab es Probleme mit Fotorechten, es zog sich hin. Es wurden nur 37 Bilder hergestellt, und Edzard Reuter, der damalige Chef von Mercedes, wollte das Studio besuchen, um einige von ihnen anzuschauen. Leider aber wurde der Termin um vier Tage verschoben, da Warhol ins Krankenhaus musste, angeblich nichts Ernstes. Am Sonntagabend kam dann die Nachricht, dass er gestorben war. Bis heute ist nicht klar, was da wirklich passiert ist. Die Bilder gingen dann zehn Jahre auf Tournee durch Museen. Trotz der Tragik seines plötzlichen Todes war das natürlich für die Wahrnehmung seiner Kunst ein großer Entwicklungsschritt.
K.WEST: Im gleichen Jahr hat sich Robert Rauschenberg vom U-Bahn-Bau vor Ihrer Galerie inspirieren lassen.
MAYER: Er hat sich einfach um die Ecke ein Absperrschild geholt und es für seine Skulptur verwendet, die vor Ort entstehen sollte.
K.WEST: Nach den Pop-Art-Heroen Warhol und Lichtenstein brachten Sie die nächste Generation von US-Amerikanern nach Deutschland: Basquiat und Keith Haring, der nur drei Wochen vor seinem Aids-Tod bei Ihnen einen Sportwagen bemalte.
MAYER: Es war faszinierend, Haring beim Arbeiten zuzusehen. Er hatte seine Bilder im Kopf und malte in einem Zug. In den 90ern kamen dann noch Tony Oursler mit seinen Videos und Robert Longo dazu, mit denen ich seitdem regelmäßig zusammenarbeite, auch zeitgenössische Maler wir Markus Oehlen und Ben Willikens. Phänomene wie die Modefotografie eines Helmut Newton, Karl Lagerfeld oder Peter Lindbergh hatten ebenso früh Platz in meinem Programm, obwohl man sie damals im Kunstkontext noch eher ablehnte. Die Ausrichtung wurde immer breiter, bis hin zu den Arbeiten eines Jürgen Klauke, auf den sich heute viele junge Kreative beziehen. Und auch Ausstellungen mit Architekten haben mich immer wieder interessiert.
K.WEST: Sie waren 1967 Gründungsmitglied des Kölner Kunstmarktes und auch bei der ersten Art Basel bereits dabei.
MAYER: Der Kunstbetrieb hat sich seitdem unglaublich beschleunigt. Auktionshäuser bieten inzwischen junge Gegenwartskunst an. Ohne diese Teilnahmen an den internationalen Messen könnte die Galerie finanziell bis heute nicht existieren. Aber auch ohne Enthusiasmus und Neugier sind keine Entdeckungen von neuen Positionen zu haben, die letztlich eine Galerie am Leben erhalten.
K.WEST: Zum 40-jährigen Jubiläum zeigten Sie in der Langen Foundation in Neuss eine Auswahl von Werken, die über Ihre Galerie einen Käufer gefunden haben. Der Wert von manch einem dieser Verkäufe hat sich inzwischen vertausendfacht. Die Elektro-Pioniere Kraftwerk aber ließen ihre 3D-Video-Musik-Performance zur Wiedereröffnung Ihrer Räume am Grabbeplatz unentgeltlich laufen?
MAYER: Ich kenne Kraftwerk seit ihren Anfängen und habe ihnen auch oft geholfen. Sie hatten mir seit Jahren ein Konzert versprochen. Neben dem Auftritt von Steve Reich 1972 ist diese Performance zu einem meiner aufregendsten Musik-Ereignisse geworden, wenn es auch nur 20 Minuten dauerte. Die Stadt hatte einen längeren Auftritt nicht genehmigt. Und obwohl wir ihn bewusst nicht in den Medien angekündigt hatten, sprach er sich blitzschnell per Mundpropaganda herum. Die Galerie, ja der gesamte Grabbeplatz, platzte aus allen Nähten. Ein tolles Geschenk!