TEXT: STEFANIE STADEL
Ganz schön kess, wie er sich da neben Johannes dem Täufer in Pose bringt. Lebensgroß in kompletter Rüstung mit einem Umhang aus Brokat und Hermelin, dazu knallrote Schuhe und kunstvoll verdrehter Federschmuck auf dem Hut. Offiziell ist es das Bild des Hl. Reinhold, das Joos van Cleve da meisterlich auf den Außenflügel des Retabels setzt. Doch verleiht er dem Heiligen hemmungslos die eigenen Züge: Das markante runde Gesicht mit Knollennase lässt keinen Zweifel – es ist der Maler persönlich. So viel fast schon sakrilegisches Selbstbewusstsein überrascht. Und lässt sich wohl allenfalls mit Joos van Cleves Top-Position in der Kunstszene erklären: Mindestens zwei Jahrzehnte lang unterhielt er die größte und produktivste Malerwerkstatt in Antwerpen.
Um die 200 Werke schreibt man Joos und seinen Helfern heute zu. Die meisten sind auf Eiche gemalt und sehr empfindlich. Deshalb werden sie ungern auf Reisen geschickt. Trotzdem ist es dem Suermondt-Ludwig-Museum gelungen, über 60 Gemälde nach Aachen zu holen. Unter dem klangvollen Titel »Leonardo des Nordens – Joos van Cleve« geben sie eine konzentrierte Übersicht, die alle Sparten des Schaffens einschließt. Joos und seine Werkstatt produzierten Andachtsbilder für den freien Markt. Einflussreiche Adels- und Kaufleute engagierten den Meister gern als Porträtisten. Franz I. gar ließ sich von dem Antwerpener verewigen, das Bildnis des französischen Königs schmückt die beeindruckende Porträt-Galerie der Aachener Ausstellung.
Vor allem aber war van Cleve für seine großen Altarwerke berühmt. Sein Untenehmen lieferte nach ganz Europa – aus Köln, Genua, Madeira, Gran Canaria gingen Bestellungen ein. Der 1516 vollendete Reinhold-Altar wurde in die Danziger Marienkirche geliefert. Als Joos sich auf dessen
Außenflügeln so prominent wie unverschämt in Pose brachte, müsste er wohl Ende Zwanzig gewesen sein. Genau kann man es nicht sagen, denn das Geburtsjahr des Malers ist ungewiss. Sicher scheint aber, dass sein erstaunliches Selbstbewusstsein nicht von ungefähr kam. Denn die Traumkarriere war zu diesem Zeitpunkt bereits in vollem Gange.
Nur fünf Jahre zuvor, 1511, war der gebürtige Klever vom Niederrhein in die Metropole Antwerpen gewechselt – wie so viele Kollegen damals. »Die große gefeierte Stadt Antwerpen, die durch den Handel blüht, hat von überall her die höchst ausgezeichneten Meister unserer Kunst angezogen«, weiß der Künstlerbiograf Karel van Mander 1604 zu berichten. Nicht zuletzt, führt er aus, »weil die Kunst danach verlangt, dem Reichtum nahe zu sein.«
Für Joos ging die Rechnung auf. Gemeinsam mit seinem Mitarbeiterstab hatte er sich sehr bald hochgemalt zur Nummer Eins auf dem blühenden Kunstmarkt dort. Untersuchungen des Reinhold-Altars lassen ahnen, wie Joos van Cleve als gewiefter Malerunternehmer das Geschäft organisierte: Klappt man die lebensgroßen Heiligen zur Seite, erscheinen kleinere Tafeln, die aus dem Leben Jesu erzählen. Mit bloßem Auge sind an einigen Stellen detaillierte Vorzeichnungen zu erkennen. Joos van Cleve ergänzte sie zuweilen sogar durch genaue Angaben zur Farbgebung.
Während er beim Prestige-Porträt auf der Außenseite sehr wahrscheinlich selbst den Pinsel führte, überließ er die Arbeit an diesen weniger prominenten Bildchen seinen Mitarbeitern, gab ihnen aber eine genaue Anleitung, damit sie den Job nach seinen Vorstellungen erledigten. Malen nach Zahlen auf hohem Niveau.
Überhaupt beeindruckt in Aachen die durchweg gute Qualität, die handwerkliche Perfektion der Stücke aus van Cleves Werkstatt. Obwohl oft mehrere Hände am Werk waren, scheint der Stil doch einheitlich. Man bewundert die Farbe. Auch die Einfälle – etwa im kleinen Andachtsbild mit dem büßenden Hieronymus in der Wüste. Van Cleve übernahm die melancholische Haltung des ausgemergelten, von der Selbstkasteiung entkräfteten Kirchenvaters wohl von Dürer, doch bereichert er seine Komposition durch etliche anekdotische Details und fügt im Hintergrund eine wunderbare Landschaft hinzu, die direkt vom jungen Kollegen Joachim Patinir geliehen scheint.
Nicht nur hier fühlt man sich an Fremdes erinnert. Van Cleve bedient sich großzügig – nimmt damals »moderne« Stile und Motive aus ganz unterschiedlichen Quellen auf und macht etwas Neues daraus. Wesentlich werden dabei nicht nur heimische Vorbilder. Zunehmend fließt auch die südliche Renaissance ein in die Bildwelt des Antwerpeners: Die Klarheit, die Präzision, das Handfeste der Niederländer mischt sich mit dem mehr vergeistigten Raffinement, mit der feinen Eleganz der Italiener.
Wobei sehr ausdrücklich der im Ausstellungstitel erwähnte Leonardo da Vinci ins Spiel kommt. Der große Italiener war extrem angesagt in den Niederlanden des 16. Jahrhunderts. Es gibt sogar einen Namen für jene Leidenschaft – leonardismo. Just Antwerpen war das Zentrum der Bewegung und Joos van Cleve, als Star auf dem Parkett dort, sozusagen ihr Anführer. Meisterlich zitiert er Leonardos berühmtes »Sfumato«: Vor die detailreichen Landschaften à la Patinir setzt Joos van Cleve oftmals durch braun-graue Schattierungen weich modellierte Figuren. Ihre Kanten oder Konturen verwischen unter einem feinen Schleier.
Doch geht der Niederrheiner noch weiter in seiner Verwertung des Italieners. Die Schau belegt, wie er zwei von Leonardo-Schülern geschaffene Gemälde mit Hilfe von Ölpapier-Pausen überträgt und für eigene Kopien oder Varianten hernimmt. »Die liebevolle Kirschenmadonna« mit Kind und das innige Beieinander von Christus und Johannes als Babys gehen nach 1525 in Serie – als Andachtsbilder für die private Stube werden sie zu echten Verkaufsschlagern.
Selbst vor Leonardos »Letztem Abendmahl« macht van Cleve nicht Halt. Er interpretiert die berühmte Vorlage in der Predella seines großen Beweinungsaltars für eine Kirche in Genua. Wer durchzählt, dürfte stutzen. Denn da reihen sich 13 Männer neben Christus an der Tafel. Einer zuviel! Es ist mal wieder Joos van Cleve, der sich eingeschlichen hat. Als Mundschenk mit dem Krug in der Hand schaut er links außen selbstsicher aus dem Bild heraus.
Der Mann hat sich einiges einfallen lassen, um nicht in Vergessenheit zu geraten. Doch ohne Erfolg. Heute ist nicht einmal mehr Joos van Cleves Geburtsjahr bekannt. Und zu seinem Ende nur so viel: Am 10. November 1540 verfasst der Maler ein Testament, in dem er erklärt, dass er körperlich krank, jedoch im vollen Besitz seiner geistigen Kräfte sei. Weil seine Frau im April 1541 als Witwe bezeichnet wird, muss Joos van Cleve irgendwann in den Monaten dazwischen gestorben sein.
Suermondt-Ludwig-Museun, Aachen; bis 26. Juni 2011; Tel. 0241/479800. www.suermondt-ludwig-museum.de