Sie gehen von entgegengesetzten Seiten langsam auf die Mitte zu. Ein Mann und eine Frau. Sie flirten nicht, noch ist es ein Wiedersehen, das sie verbindet; es ist eine Art schicksalsmäßige Zugehörigkeit. Sie sind einander einfach friedlich und glücklich zugetan. Andere Paare gesellen sich hinzu, still hinter feiner Gaze, die das Paradiesbild sanften Tanzes etwas entrückt. Sobald die Musik beginnt, ist es vorbei mit der jenseitigen Zeitlosigkeit. Eine Geschichte entwickelt sich, die zwar »Romeo und Julia« heißt, die Story der verhinderten Liebe aber bis auf den Kern reduziert. Choreograf Xin Peng Wang lässt Shakespeare, theatermäßige Rollen und Konflikte, die auch das klassische Ballettstück von 1940 seither bestimmen, mutig weg. Bleiben Julia, Romeo, das Volk und die Figur einer Gegenmacht. Das ist kühn, denn eine solche choreografische Allegorie muss auf Tanz und Musik setzen, statt auf die bewährten Effekte Kampf, Feierlichkeiten, Kumpel- und Ammenszenen. Das Ballett besteht die Herausforderung, wofür Tänzer, Orchester und vor allem Xin Peng Wang heftigen Applaus bekamen.
Die Musik von Sergej Prokofjew wurde eigens umgestellt. Sie poltert und stampft, wenn der große Störer, genannt »das Gesetz«, auftritt. Im silbrigen Mantel erinnert er mit machtvoller Pose ein bisschen an den Tod in Kurt Jooss’ Tanztheater »Der Grüne Tisch«. Doch mündet jenes auf- und abeilende musikalische Motiv stets in einen bohrend hohen Klang: Da knickt Ivica Novakovic die Arme ein und krümmt sich, als habe er Anfälle. Er ist nicht ganz Herr seiner selbst, will dennoch oder gerade deshalb die Welt der liebenden Wesen in Schach halten, zur gleichförmig funktionierenden Masse formen. Mit seinen synchronen Tänzen, gemischt aus Ballett und Modernem Tanz, verkörpert das Corps de ballet eine gesichtslose Metropolis-Gesellschaft. Romeo, Adrian Robos, gerät unter die Macht, nähert sich den Gleichgemachten an, aber die liebende freie Julia (Monica Fotescu-Uta) rettet ihn. Das ist so naiv wie schön: ein Märchenende. Die Choreografie verzichtet klug auf Virtuosenschau, ist aber etwas zu wenig einfalls- und nuancenreich. Mehr Feinheit unter der Macht der Muskeln stünde den Tänzern gut. / SUCHY