Mehr als 150 neu- oder umgebaute Wohnhäuser, Bürogebäude und Quartiere, Privatgärten oder Parks präsentieren sich diesmal beim Tag der Architektur in NRW. Eine schöne Gelegenheit, einmal reinzuschauen. Wo lohnt sich der Besuch? Wir haben den Kölner Architekten Johannes Finkelstein um ein paar Tipps gebeten.
Klare Formensprache – Neue Energiezentrale in Dortmund
An der Adlerstraße in Dortmund, umgeben von 50er Jahre-Architektur des Wiederaufbaus, befindet sich dieses kleine, aber sehenswerte Gebäude, dessen Charme sich erst vom Innenhof aus erschließt. Das aus wenigen elementaren Formen komponierte Werk besticht durch seine Einfachheit und Eleganz: Quader, Halbzylinder und der zylindrische Schornstein vereinigen sich zu einem spannenden Ganzen und wecken Neugierde ob des Inhaltes. Die Energiezentrale ist nötig, wenn der Energiebedarf akut steigt – zum Beispiel bei großer Kälte. Hier wird dieses eher unliebsame Architekturthema einmal anders gedacht und formschön inszeniert. Das vertikal strukturierte, metallisch glänzende Fassadenmaterial und dessen konsequenter Einsatz über sämtliche Außenflächen macht den Zweck des Gebäudes nach außen erlebbar. Im puritanischen Inneren finden sich die technischen Aggregate sinnfällig und diszipliniert angeordnet. Nachträglich hinzugefügte Leitungen Kabelstränge oder ähnliche störende Zugaben sucht man vergeblich.
Neues Kleid – Energetische Sanierung eines Hochhausensembles in Herne
Die meisten Passanten werden den Blick wohl kaum heben für diese Gruppe kompakter, dicht gedrängter Hochhäuser – formiert zu einem abgestaffelten Ensemble an der Ecke Bochumer Straße/Sodinger Straße in Herne. Dass dieser Eingriff in eine lieblose 70er Jahre-Alltagsarchitektur als gelungen betrachtet werden darf, erschließt sich erst in dem unmittelbaren Vergleich von vorher und nachher. Die vormals wahllos, reinen Nutzungsaspekten gehorchende Gebäudegruppe wurde energetisch saniert und erreicht hierdurch Neubauzustand. Der Clou dabei: die Architekten*innen haben es bewusst vermieden, den Schwerpunkt ihrer Arbeit »lediglich« auf die Energetik zu legen. Sie haben vielmehr das Angenehme mit dem Nützlichen verbunden, die Fassaden vollständig überarbeitet und so ein homogenes, einheitliches Ganzes geschaffen.
Trost in der Tristesse – Lambertuskapelle in Morschenich-Neu
Zu den traurigen Seiten des Braunkohletagebaus gehören Umsiedlungsorte schon lange. Gewachsene Ortschaften fallen dem Bagger zum Opfer und werden in regionaler Nähe neu errichtet – oder vielmehr neu erfunden. Diese Retortendörfer, bar jeder Geschichten und Erinnerungen, zeichnen sich nicht selten durch vollkommene Belanglosigkeit aus. Schönheit liegt im Auge des Betrachters wusste bereits der griechische Historiker Thukydides, und so kommt der Lambertuskapelle in Morschenich-Neu im Kreis Düren eine mehrfache Bedeutung zu. Einerseits ist das kleine Gotteshaus mit Abstand der gelungenste Entwurf in der mit anspruchsvoller Architektur nicht gerade gesegneten Siedlung. Andererseits bietet es den Umgesiedelten Trost und einen neuen Raum der Identifikation. Dieses kleine, einem gefalteten Papierschiffchen ähnliche Gebäude gibt Halt in einer haltlosen Umgebung.
Liebe zum Detail – Umbau einer Düsseldorfer Tankstelle zum Architekturbüro
Was hat Architektur mit Musik, Literatur und Sport gemeinsam? Die Antwort: Auch kleine, einmalige Werke vermögen zu begeistern. So die Neugestaltung einer denkmalgeschützten Tankstelle der 1950er Jahre, die zum ARAG-Komplex in Düsseldorf-Morsenbroich gehört. Das hier ansässige und für den Umbau verantwortliche Architekturbüro Ralf Breuer hat dem Gebäude unter Beibehaltung der wesentlichen, für die damalige Zeit prägenden Details, neues Leben eingehaucht. Das Filigrane der Fensterprofile wurde ebenso in die Gegenwart transformiert wie die ungedämmten, teilweise kannelierten Betonfassaden. Sogar die ehemalige Lichtdecke im Innenraum wurde reaktiviert – mit neuen Leuchtmitteln versehen, kann sie den Raum vortrefflich ausleuchten. Behutsam ausgewählte Farben, punktuell platzierte Einbauleuchten mit Pendelstrahlern und die gekonnt gewählten Büromöbel von namhaften Gestaltern wie Charles Eames und Egon Eiermann unterstreichen die Individualität des Ortes.
Stadtreparatur im Wendehammer – Neubauensemble im Kölner Stadtteil Sülz
Dem Frankfurter Büro Happ-Architekten ist auf einem ehemaligen Straßenbahn-Wendehammer ein gutes Stück Stadtreparatur gelungen. Das Neubauensemble an der nördlichen Flanke des Hermeskeiler Platzes in Köln-Sülz, bestehend aus drei Wohnhäusern und einem Kindergarten, definiert klare Innen- und Außenräume. Zum Platz hin präsentiert sich das viergeschossige Wohn- und Geschäftshaus mit einer plastisch gegliederten Fassade, die sich wohltuend von der gesichtslosen Bebauung in der Umgebung abhebt. Fünf Fassadenachsen wenden sich zum Platz; Stichbögen überspannen den Arkadengang im Sockel. Die oberen drei Wohngeschosse nehmen jeweils fünf schön geschnittene Ein- bis Dreizimmer- Wohnungen auf – allesamt mit einer großzügigen Loggia. Hier wird nicht laut gebrüllt, sondern leise und vornehm eingefügt.
Tag der Architektur 2024 in NRW
29. und 30. Juni