Giuseppe Verdis "Aida" war ein Auftragswerk für die Kairoer Oper. Ihre Geschichte ist erfunden und spielt in der ägyptischen Antike. Ein identitätsstiftendes Projekt für das neue Ägypten. Mit einer Musik eines der damals modernsten Komponisten Europas – im Jahr 1870. Dabei hielt sich Verdi mit ihr von allzu viel exotischer Prägung fern. Aida ist italienische Oper mit einigen Elementen der Grand Opera.
Heribert Germeshausen startet in seine Intendanz am Dortmunder Opernhaus nicht zufällig mit diesem monumentalen Werk. Italienische Komponisten spielen in seinem Spielplan eine weitaus größere Rolle als bei seinem Vorgänger Jens-Daniel Herzog, der – abgesehen von Verdi – eher einen Bogen um die Italiener machte. Ganz anders Germeshausen, der nach der Aida-Premiere gleich noch am 7. Oktober, also zwei Tage später, mit Gioachino Rossinis „Il barbiere di Siviglia“ einen zweiten Italiener präsentiert.
Und dennoch: Zunächst scheint an der Dortmunder Oper gar nicht so viel anders zu sein. Als sich der Vorhang hebt, schauen wir in einen tristen Konferenzraum. Die Lederstühle sind nicht mehr ganz zeitgemäß, nur das Tapetenmuster lässt nordafrikanische Ornamentik erahnen. So wie hier Bühnenbildner Nikolaus Webern den Raum über die ganze Bühnenbreite, aber mit sehr wenig Tiefe baut, das könnte auch von Herzogs Dauer-Bühnenbildner Mathis Neidhardt stammen. Sarah Rolke gibt den Sklavinnen Kleider und Kopftücher in Guantanamo-Orange, den Generälen schlichte moderne Uniformen, Radames und Ramfis tragen erstmal unspezifisches Schwarz.
Amneris bringt dann mit typischer Perücke und großem Goldschmuck ägyptisches Kolorit. Das Leitungsteam um Regisseur Jacopo Spirei setzt weder auf eine klare Verortung der Handlung, noch auf eine zeitliche Einordnung. Im zweiten Akt tragen die Chordamen Kostüme der 1920er Jahre, für den Triumphzug öffnet sich die Bühne nach hinten in einen Spiegelsalon.
Radames und die anderen Soldaten erinnern in ihren Kampfpanzern an Paul Verhoevens „Starship Troopers“ und der König ist ein dauerbekiffter Rockstar in Goldlamee. Im dritten Akt setzt Nikolaus Webern einen Streifen der Bühne unter Wasser. Das zaubert in der nächtlichen Nil-Szene pittoreske Lichtreflexe in den Saal, aber wird kaum wirklich bespielt. Lediglich ein rituelles Handwaschen zwischen Amneris und Ramfis fällt Regisseur Spirei dazu ein. Später stapfen alle anderen eher sinn- und achtlos in dem nicht einmal knöcheltiefen Wasser herum. Die finale Grabszene, in der Radames und Aida lebendig eingemauert werden, soll durch herabfahrende halbtransparente Scheiben illustriert werden, doch so ganz löst sich der optische Effekt nicht ein.
Es gelingt an diesem Abend Jacopo Spirei nicht, aus diesen vielen mal mehr mal weniger schlüssigen Einzelideen ein Gesamtkonzept zu entwickeln. Für die Charakterzeichnung der Figuren ist das bloße Kostüm zu wenig. Im Zusammenspiel mit einer klaren Personenführung wäre daraus vielleicht etwas geworden, aber allzuoft wird dann doch nur im großen Bild oder an der Rampe herumgestanden und die Sängerinnen und Sänger haben kaum Chancen, ihre teilweise durchaus erahnbaren Qualitäten als Darsteller auszuspielen.
Musikalisch ist dagegen der Abend kraftvoll und das durchweg hochsympathische, neue Ensemble kann einen guten Einstand feiern. Die Dortmunder Philharmoniker spielen einen hochdifferenzierten, kontrastbetonten Verdi. Dirigent Gabriel Feltz meistert mühelos die Koordination zwischen Bühne und Graben sowie den zahlreichen Orchester- und Choreinsätzen auf und hinter der Bühne. Der Bass Denis Velev beeindruckt als ägyptischer König mit kraftvoller Tiefe und elegant beweglicher Stimme. Die überaus agile Hyona Kim singt eine charakterstarke Amneris, die sowohl zynische Schärfe am Beginn wie auch große Empfindsamkeit im dritten Akt umsetzt. Shavleg Armasi gibt dem Ramfis italienischen Idealton.
Mandla Mndebele zeigt als Amonasro vielleicht am deutlichsten, dass er nicht nur als Sänger, sondern auch als Darsteller die Bühne beherrschen könnte, wenn ihm die Regie dazu den Raum gibt. Als Radames überzeugt Hector Sandoval mit großem Glanz in der Stimme und sicheren Höhen, hat aber gelegentlich Schwierigkeiten, sich in den Ensembles oder gegen das Orchester durchzusetzen. Die gewöhnungsbedürftige Akustik des Dortmunder Hauses mag da eine Rolle spielen. Elena O’Connor schließlich bestreitet die Rolle der Aida souverän, neigt aber zu starkem, gelegentlich etwas zu starkem Vibrato.
Mit Giuseppe Verdis „Aida“ ist die Intendanz von Heribert Germeshausen respektabel begonnen, sein Ensemble wird schnell beim Dortmunder Publikum Fuß fassen. In Bezug auf Regiezugriff und zeitgenössisches Musiktheater, wie es für ein Haus dieser Größe und Bedeutung nötig ist, bleibt noch ein gutes Stück Luft nach oben.