TEXT: ANDREAS WILINK
Als Kölner Eröffnung des auch in Dortmund stattfindenden schwul-lesbischen Filmfestivals »Homochrom« wird exklusiv »The Normal Heart« von Ryan Murphy gezeigt, produziert vom US-Sender HBO, der auch Steven Soderberghs schillerndes Meisterwerk »Liberace« ermöglicht hat. Der prominent besetzte Fernsehfilm basiert auf dem mit drei Tony Awards ausgezeichneten Theaterstück von Larry Kramer. 1981 feiert der schwule Schriftsteller Ned Weeks (Mark Ruffalo) auf Long Island den Geburtstag seines Freundes Craig Donner (Jonathan Groff), der sich seit kurzem mit dem attraktiven Bruce (Taylor Kitsch) trifft. Craig bricht am Strand zusammen. In den Medien wird berichtet über einen seltenen Krebs, der nur Homosexuelle befällt. Dr. Emma Brookner (Julia Roberts) hat schon Gay-Patienten mit sonderbar seltenen Symptomen behandelt. Weeks lädt seine Umgebung zu Informationsveranstaltungen mit Dr. Brookner ein, die glaubt, dass die Krankheit sexuell übertragen wird. Langsam formieren sich die Betroffenen um Weeks zum Protest gegen die fahrlässige Haltung des Gesundheitssystems und organisieren sich: »To win a war, you have to start one«. Emotional aufgeladen nach bewährten Mustern, lässt »The Normal Heat« die Fieberkurve steigen, so wie es Jonathan Demmes Gerichtsdrama »Philadelphia« mit Tom Hanks als erster großer Hollywood-Film über AIDS vor zwanzig Jahren tat.
450 Kurz- und Langfilme wurden zum Festival eingereicht, die besten und wichtigsten 45 sind im Programm. Ein größerer Kontrast zu dem effektvollen »The Normal Heat« als »Alex und Ali« ist kaum vorstellbar. Beginnend mit dem Genre: Der Dokumentarfilm rekapituliert die Geschichte einer verbotenen Liebe in den siebziger Jahren im Iran. Als Freiwilliger des Peace Corps und Englischlehrer traf der US-Amerikaner Alex 1967 in Persien den Muslim Ali. Beide verliebten sich ineinander und hielten ihre Beziehung geheim: zehn Jahre lang, bis Khomeinis Revolution Alex zur Rückkehr in die USA zwang – ohne seinen Freund. Nach langer Trennungsphase, bedingt durch die politischen Verhältnisse, nahmen sie durch Telefon, E-Mails und Briefe Kontakt auf, bis sie sich schließlich nach mehr als 30 Jahren wiedersehen.
Alex’ Neffe Malachi Leopold hat diesen berührenden und zornig machenden Film gedreht, auf seine Weise ein West-Östlicher Divan, der aber mehr Differenz als Gemeinsames erkennen lässt: diesseits und jenseits der Gefühle. Es gibt keine »grenzenlose« Liebe. Beide Männer haben sich verändert – und nicht in die gleiche Richtung, sie sind sich fremd geworden. Es liegt eine von den Filmbildern aufgenommene und noch weitergetragene Enttäuschung über ihrem Leben, das sich gemeinsam vielleicht anders entwickelt hätte. Spürbar ist ein tiefer Schmerz über den Verlust, den ihre Begegnung nur umso deutlicher macht: 2012 in Istanbul, zwei alt gewordene Männer in den Sechzigern. Was können sie unternehmen, um zusammen zu bleiben? »Distant love« meint hier innere Spaltung und äußere Umstände, die komplizierten, manchmal absurden und auch todbringenden Vor- und Nachbedingungen des Treffens. Ali ist es unmöglich, sich zu seiner Homosexualität offen zu bekennen, obschon das seine einzige Chance wäre, in den USA eingebürgert zu werden; unmöglich nicht nur wegen der militanten Behauptung des Fundamentalisten Ahmadinedschad, im Iran gäbe es keine Homosexualität, und wegen des homophoben Klimas in bestimmten US-Bundesstaaten. Alis existentielle Verzweiflung, sein Glaube (»Gott hat das letzte Wort«) und sein Verantwortungsgefühl für seine Familie im Iran lassen seinen Identitätskonflikt ungelöst. Alex hingegen, HIV-positiv, hat in jeder Hinsicht frei gelebt. Ali kehrt zurück, wird gefoltert, ein Auge wird ihm ausgeschlagen, auf einem Ohr bleibt er taub, seine Knochen und Zähne werden zertrümmert; ein Gebrochener an Leib und Seele. Alex wird über die Nachrichten depressiv und schwer krank. Furcht und Schuld sind das, was bleibt. Ein trostloses Dokument der Zerstörung des Menschen durch das Unmenschliche in der Welt. Die große Billie Holiday begleitet den Epilog: Lady sings the Blues.
Eröffnung: 15. Oktober 2014, Weisshaus Kino, Köln; 16. bis 19. Oktober, Filmforum Köln; 22. bis 26. Oktober 2014, Schauburg, Dortmund. http://www.homochrom.de/schauburg-dortmund