Vor drei Jahren gewann Sabine Heinrich den deutschen Radiopreis. 2010 moderierte sie die deutsche Vorentscheidung zum European Song Contest. Seitdem ist die Frau aus dem Ruhrgebiet auch überregional bekannt. Vier Stunden sitzt sie täglich bei 1Live vor dem Mikro, nebenbei dreht sie Talk- und Politikformate für den WDR. Jetzt hat sie auch noch ein Buch geschrieben. Wie hält sie das alles zusammen?
Die bekannteste Stimme in NRW ist nervös. Sagt sie zumindest. Normalerweise stellt Sabine Heinrich die Fragen. Nun sitzt sie im Kölner Museum Ludwig und muss Auskunft geben. Es geht um ihr erstes Buch, »Sehnsucht ist ein Notfall«. Abgesehen vom Lektor und ein paar Freunden hat es noch niemand zu Gesicht bekommen. Und nun das: der erste Pressetermin. Da kann es nicht schaden, einen vertrauten Ort zu wählen. Sabine Heinrich kommt oft in das Museum am Dom. Dann sitzt sie vor den Bildern von Yves Klein und starrt buchstäblich ins Blaue. Vielleicht braucht man Meditationsphasen wie diese, wenn man jeden Tag vier Stunden reden muss.
Um Alltagsflucht geht es auch in »Sehnsucht ist ein Notfall«. Ursprünglich sollte das Buch »Oma und Eva« heißen, nach den Hauptfiguren. Die beiden unternehmen einen Selbstfindungstrip nach Italien. Die Großmutter hat sich mit 79 Jahren von ihrem Gatten getrennt, die Enkelin schwankt zwischen zwei Männern und will in der Ferne herausfinden, wie es weitergehen könnte. Nebenbei springen eine Menge Lebenstipps von der coolen Großmutter raus. Wenn man ehrlich ist, ein klassischer Frauenroman. Über die Handlung ist Sabine Heinrich selbst ein bisschen überrascht. »Ich wusste, welche Geschichte ich nicht schreiben wollte: Frau Mitte 30, Langzeitsingle, verstrickt sich in lustige Affären.« Eine Affärengeschichte ist es jetzt doch geworden – zumindest in Teilen.
Der Aufhänger ist autobiografisch. Heinrichs Oma hat sich in hohem Alter von ihrem Mann getrennt. Alle anderen Details hat sich die Autorin ausgedacht. Um den Italien-Trip realistisch zu gestalten, ist sie einen Teil der Romanroute abgefahren. Später hat sie sich im Turmzimmer einer ehemaligen Kirche einquartiert, um am Fenster zu sitzen und zu tippen. Heinrichs hat ein Foto von ihrem Arbeitsplatz auf dem Handy. Hinterm Schreibtisch sieht man einen südlich anmutenden Garten, hohe Bäume. Irgendwie muss man an Hermann Hesses Ausblick im Tessin denken.
Die Umstände, unter denen das Buch entstand, waren auch sonst nicht verkehrt. Heinrich musste sich nicht mal um einen Verlag kümmern. Kiepenheuer & Witsch kam auf sie zu. Ob sie nicht ein Buch schreiben wolle, Thema: frei wählbar. KiWi hat bereits das Debüt des 1Live-Kollegen Mike Litt (»Der einsamste DJ der Welt«) herausgebracht. Sein Roman ist halbautobiografisch, er spielt unter Radiokollegen. Wäre das eine Option gewesen, ein »Medienroman«? Heinrich schüttelt schnell den Kopf: »Nee! Das wär‘ ja langweilig.« Litts Buch sei eine Ausnahme. »Der hat ja auch was zu erzählen.«
Nicht, dass sie weniger Erfahrung hätte. Seit zwölf Jahren arbeitet sie bei 1Live. Eine lange Zeit. Schwer zu sagen, wer wem mehr verdankt: die Moderatorin dem Sender – oder der Sender ihr. Fest steht, die 37-Jährige ist für 1Live ungefähr das, was Stefan Raab für Pro Sieben ist: eine Marke und ein Publikumsmagnet. Von Montag bis Freitag sitzt sie am Mikrofon. Zwischen 10 und 14 Uhr moderiert sie eine Show, die schlicht »1Live mit Frau Heinrich« heißt. Das mit der »Frau« klingt ein bisschen altmodisch, aber vielleicht soll das so. Vornamen sind bei 1Live optional, Heinrichs Kolleginnen Anja Backhaus und Bianca Hauda heißen auch nur »die Hauda« und »die Backhaus«.
Spleens wie diese werden bei 1Live eher selten gepflegt. Trotz jugendlicher Zielgruppe wirkt das Moderationsteam angenehm geerdet. Keine Selbstverständlichkeit in einer Stadt voller Medienhipster. In die bodenständige Kultur des Senders passt Sabine Heinrich perfekt. Für ihre volksnahe Moderationen hat sie 2011 den deutschen Radiopreis gewonnen. In der Laudatio hieß es, mit ihr »würde man gerne mal das ein oder andere Pony stehlen oder einen Imbiss stürmen«. Was immer das mit dem Imbiss genau heißen mag.
In den letzten Jahren haben sich auch überregionale Jobs aufgetan. Nicht zuletzt beim Fernsehen. Neben Matthias Opdenhövel moderierte Heinrich die deutsche Vorentscheidung zum European Song Contest. Es war ein Kickstart von Null auf 100, was die TV-Karriere anging. Vielleicht wäre eine kleinere Show im Nachhinein besser gewesen. Man merkt Sabine Heinrich an, dass sie den Gala-Auftritt vor Millionenpublikum nicht zu ihren Sternstunden zählt. »Da lernst du dich noch mal neu kennen. Plötzlich stehst du da in einer komischen Lederkutte mit Push-up-BH, fährst aus deinem Körper und fragst dich: Wer bist du? Was machst du hier?« Es war nicht ihre Welt.
Wenn man nach ihrer Welt fragt, fällt schnell das Wort Ruhrgebiet. Heinrich ist in Unna aufgewachsen. Der Region ist sie immer noch verbunden. »Ich nenne Köln mein Zuhause, aber das Ruhrgebiet ist meine Heimat.« Die Oma in »Sehnsucht ist ein Notfall« lebt im Zechenhaus. Die Beschreibung der Ruhrpott-Idylle ist vielleicht der beste Teil des Romans. Mit Glorifizierung hat das Ganze wenig zu tun. »Ich sehe auch das dreckige, strukturschwache Ruhrgebiet.« Der Weg nach Köln war geografisch nicht weit, mental schon.
Das merkt man auch im Buch. Da tauchen irgendwann die »Medienheinis« im Belgischen Viertel auf. Sabine Heinrich weiß, dass sie selbst dazu gehört. »Es wäre Quatsch zu sagen, mit denen habe ich nichts zu tun. Aber es ist klug, die Szene mit Abstand zu betrachten und sich ab und zu zu bremsen.« Sie habe noch nie zu den Coolen gehört, auch früher nicht. »Ich weiß nicht, ob ich das gut finden soll oder schlecht.« Für ihre Medienkarriere war es mit Sicherheit ein Vorteil. Ihre uncoole – oder vielmehr: unkühle – Art kommt an. Als Heinrich neulich vier Wochen im Asien-Urlaub war, schrieben besorgte Fans, sie solle bald zurückkehren. »Ich habe meine Hörer auch vermisst.« Kein Wunder, dass Heinrich auf das Radio nichts kommen lässt.
Aus der Erfahrung mit anderen Medien hat sie inzwischen gelernt. Sie überlegt sich gut, welche Jobs sie annimmt. Das gilt besonders fürs Fernsehen. Und wenn eine Sendung »nur« regional läuft – auch okay. Für den WDR hat sie gerade eine neue Talkshow übernommen. »Frau Heinrich kommt« heißt sie, der Titel ist Programm. Die Moderatorin besucht ihre Gäste zuhause. Das Tonstudio bringt sie mit, einen Tross fester Zuschauer ebenso. Das Publikum reist im Bully mit. In der Pilotfolge besuchte die Truppe »Wundergeiger« und Frauenschwarm David Garrett.
Die Talk-Show ist nicht der einzige TV-Plan für 2014. Zur Europawahl wird Heinrich eine Reportage zur Rolle der Schweiz drehen. Das Thema liegt ihr. Sie hat Politologie studiert. Zum Abschluss fehlt ihr nur die Examensarbeit. Die liegt seit Jahren fertiggeschrieben in der Schublade. Warum sie sie noch nicht abgegeben hat, weiß Heinrich selbst nicht so recht.
Vielleicht fehlt einfach die Zeit bei all den Medienterminen. Und jetzt auch noch das Buch. Warum hat sie sich das eigentlich angetan? »Ich bin getrieben von Neugier«, erklärt die Moderatorin. Demnächst geht sie auf Lesetour. Bei der Lit.Cologne steht ein besonderer Termin an. Dort liest sie gemeinsam mit der hochgelobten Kollegin Katrin Bauerfeind. Moderiert wird das ganze von Klaas Heufer-Umlauf, Ex-MTV. Irgendwie ist Sabine Heinrich jetzt doch bei den Coolen angekommen.
Sabine Heinrich: »Sehnsucht ist ein Notfall«; Verlag Kiepenheuer & Witsch, 288 S., ab 8. März 2014
Lesung bei der Lit.Cologne: 13. März 2014, MS RheinEnergie/Literaturschiff. www.lit-cologne.de