TEXT: GUIDO FISCHER
Beim diesjährigen Düsseldorfer Schumannfest traten Katia & Marielle Labèque sogar drei Mal an. In jedem seiner Konzerte zeigte das berühmteste Klavierduo, dass es keine künstlerischen Scheuklappen trägt. Mit Kindern und Jugendlichen mischten sie sich unter den »Karneval der Tiere« von Camille Saint-Saëns. Einen Abend später setzten die Labèques die Zusammenarbeit mit dem englischen Videokünstler Tal Rosner fort, der zu Schumann und Debussy kunstvolle Live-Clips beisteuerte. Dann gab es noch das Beatles-Projekt »B for Bang«, bei dem Katia Labèque ohne Schwester auftrat. Dafür war sie unter Jazz- und Rockmusikern die Frontfrau, die an Keyboards die Hits der Pilzköpfe heftig auffrischte.
Katias Passion für die Popmusik teilt Marielle nicht, weshalb sie statt Beatles lieber Brahms spielt, wenn sie eines ihrer seltenen Solo-Recitals gibt. Ansonsten sind die Zwei unzertrennlich: musikalisch und bei ihren zahllosen Projekten, mit denen die Französinnen sich ihr Ziel gesetzt haben. Katia sagt es so: »Wir wollen nicht nur Kinder mit der klassischen Musik vertraut machen, sondern ebenfalls erwachsene Zuhörer.« Mit dem Wunsch stehen sie gewiss nicht allein da. Aber bei den Labèques ist es nie nur gut gemeint, sondern stets glänzend gemacht. Wie ihre Jugendprogramme, mit denen sie bei den besten Adressen, den Berliner Philharmonikern und im Wiener Musikverein, gastieren.
Eigentlicher Trumpf des Phänomens Labèque ist ein musikantisches Temperament, das in 40 Jahren noch jeden mitgerissen hat. Wenn erneut mit George Gershwins »Rhapsody in Blue« eines ihrer Bravourstücke auf dem Programm steht, überschlagen sich auf den zwei Flügeln und 198 Tasten die Ereignisse. Mit ihrem Rhythmusgefühl und spieltechnisch konkurrenzlos umgesetztem Drive ziehen die Entertainerinnen alle Register, vom Jazz über den Blues bis zur narkotischen Melodik.
Schon 1981 haben sie den Klassiker aus der Neuen Welt auf Schallplatte herausgebracht – und dafür eine »Goldene« bekommen. Im letzten Jahr spielten sie den Glücksbringer Gershwin neu ein, kombiniert mit Bernsteins grandioser »West Side Story«. Beim Klavier-Festival Ruhr hingegen gibt es die »Rhapsody« jetzt im Kontrast zum Amerikaner Philip Glass und seinen minimalistisch soghaften Rhythmusschleifen. Ehrt man mit Gershwin und Glass zwei Komponisten, von denen der eine vor 75 Jahren gestorben ist und der andere vor 75 Jahren geboren wurde, kommt der Hauptjubilar 2012 nur indirekt zum Zuge. Statt für Claude Debussy, dessen 150. Geburtstag gefeiert wird, haben sich die Labèques für den Impressionisten Maurice Ravel und die fünf Kinderstücke »Ma Mère L’Oye« entschieden.
Dennoch unterhält das Tasten-Tandem zu Ravel und Debussy besondere Beziehungen. Als Kinder haben sie den Geist der Komponisten indirekt empfangen. Ihre Mutter war eine Klavierschülerin von Marguerite Long, die wiederum die Lieblingspianistin von Ravel und Debussy gewesen ist. Geboren im französisch-baskischen Hendaye, wuchsen Katia und Marielle in einem Haushalt auf, der kaum anderes als Musik kannte. Die Mutter, zugleich strenge Lehrerin, unterrichtete die hochtalentierten Töchter. Der Versuch aber, sie zum Duo zu kombinieren, scheiterte damals am jugendlichen Doppel-Dickkopf.
So gingen die Schwestern zunächst nach Paris, um am Konservatorium zu studieren. 1968 wurde das Geburtsjahr des nunmehr dienstältesten Klavierduos. Nachdem jede das Studium mit Einser-Diplom abgeschlossen hatte, wechselten sie in die Duo-Klasse von Jean Hubeau. Erst 16 Jahre bzw. 18 Jahre alt waren da Marielle und Katia. Schon zwei Jahre später bewiesen ihre Einspielungen von Olivier Messiaens »Visions de l’Amen« sowie von Bartóks Sonate für zwei Klaviere und Schlagzeug nahezu blindes Einander-Verstehen selbst bei vertracktesten Metren.
Bis heute spürt die rechte Hand Katias intuitiv, was die Linke von Marielle bewegt. Das gilt für Klassiker des vierhändigen Repertoires, von Mozart-Sonaten bis zum Konzert für zwei Klaviere von Francis Poulenc, oder in den Arrangements und Konzerten etwa von Louis Andriessen und Osvaldo Golijov, die für die Labèques geschrieben wurden.
Überhaupt waren beide immer auf Suche nach neuen Herausforderungen. Im Jahr 2000 entdeckten sie die für sie unbekannte Welt der historischen Aufführungspraxis, als sie an Flügel-Antiquitäten und mit Experten wie Il Giardino Armonico und Musica Antiqua Köln weltweit tourten. Da aber nicht jedes, egal wie interessantes Projekt von den Musikindustrie goutiert wurde, machten sich die Labèques autonom, gründeten 2005 die »KML«-Stiftung, die sich der interdisziplinären Zusammenarbeit mit Tänzern und Regisseuren verschreibt, und parallel das »KML«-Label, das vom Repertoire bis zur CD-Gestaltung die Dinge bestimmt.
Sämtliche bisherige Einspielungen spiegeln die beeindruckende Bandbreite der Schwestern wider. Da stehen Schubert-Werke neben Flamenco mit der Sängerin Mayte Martin. Vom Jazz-Fan Katia gibt es eine Allstar-Aufnahme mit Sting, Herbie Hancock und Chick Corea. Um eine CD allerdings müssen die Labèques noch weiter verhandeln. Es ist die bereits 1995 entstandene, jedoch von ihrer früheren Plattenfirma nie veröffentlichte Studioproduktion des Konzerts für zwei Klaviere und Orchester von Luciano Berio. Es gehört für beide unbedingt in den »KML«-Katalog. Der italienische Komponist war es auch, der die Labèques ermutigt hat, die Musikwelt ohne Limits zu erkunden.
Katia & Marielle Labèque spielen Werke von Gershwin, Glass, Ravel am 3. Juli im Ruhrfestspielhaus, Recklinghausen; www.klavierfestival.de