TEXT: ANDREAS WILINK
Der Vorhang auf – und alle Fragen dahin! Antworten braucht es ebenfalls keine. Shakespeare bzw. das Spiel mit ihm funktioniert jenseits der Logik erklärender Verhältnisse von Frage-Antwort. Oder einem klugen Wort des Autors, Dramaturgen und Festspiel-Intendanten Thomas Oberender zufolge: »Theater verbrennt Antworten.« Diese Einsicht beherzigt das Ensemble von »Kote Marjanishvili« aus Tiflis. Die georgischen Schauspieler betreten das kleine hölzerne Podium, bringen gewissermaßen die Luft zum Schwingen und Klingen und ziehen sanft eine weiße Brecht-Gardine auf. Das Spiel der Verwechslungs-, Liebes- und Geschlechterkomödie »As you like it« beginnt – und wird durchgeführt als offen poetisches Angebot. Eine putzmuntere und turbulente, mimisch satte, ballettös elegante oder bunt clowneske Inszenierung, die zugleich Traditionen des 19. Jahrhunderts bewusst zungenfertig zitiert und gewitzt »überspielt« und sich mit wenigen Requisiten einen reinen Kunst- und Lustbarkeitsraum schafft.
In das Londoner Globe, wo die Truppe vom Schwarzen Meer im vergangenen Jahr gefeiert wurde, passt der vielstimmige Spaß ebenso gut wie nach Neuss, um dort im Globe-Rundbau als erste von neun internationalen Aufführungen (nach dem Auftakt mit der blonden »Dark Lady« Senta Berger und Shakespeare-Sonetten) das Festival auf Touren zu bringen. Dass sich unser deutsches Regie-Theater, das sich von Kortner bis Zadek und Steckel, von Beier bis Haußmann, von Castorf bis Gosch seinen eigenen Shakespeare schuf, nicht unbedingt in den globalen Entwürfen für die Stücke des Elisabethaners spiegelt, muss kein Malum sein.
Als theatrale Gastspiele (neben der schon obligatorischen Spottiswoode-Lecture und einem jazzigen Shakespeare-Solo) folgen: Edward Halls Propeller Company mit dem Komödien-Pendant »Twelfth Night« (»Was Ihr wollt«) und »Der Widerspenstigen Zähmung«, ein britischer »King Lear«, ein Bremer »Sommernachtstraum« und ein heimischer Neusser »Kaufmann von Venedig«. Besondere Aufmerksamkeit verdienen zwei Produktionen des Studiotheaters der Hochschule Ernst Busch (BAT) in Berlin: »Macbeth« (Regie Tim Tonndorf) und noch einmal zum Vergleich »Wie es Euch gefällt« (Regie: die britische Lily Sykes). Mal schauen, ob wir da neue junge Talente wie einst Corinna Harfouch, Nina Hoss oder Constanze Becker, August Diehl oder Devid Striesow entdecken.
Den weitesten Weg legt »Titus Andronicus« zurück, das kannibalische Drama aus dem kaiserlichen Rom. Das finstere Blutstück über die besiegte, gefangene und gedemütigte Gotenkönigin Tamora und deren Söhne, die sich furchtbar an der Kaiserfamilie rächen, kommt aus Hongkong und wird auf Kantonesisch gegeben. Das Tang Shu-wing Theatre Studio lässt kein Blut fließen. Rote Handschuhe und ein verschmierter Lippenstift stehen für die Verstümmelung Lavinias. Minimalisiert und stilisiert – das Ensemble ist anfangs gekleidet in Trainings-Trikots und platziert auf Stühlen im Halbkreis, uniformiert sich dann in Schwarz, Weiß, Grau und wird körperintensiv und raumbewusst formal elegant choreografiert – vollzieht sich die krude Geschichte, die in Shakespeares Werk Außenseiter blieb. Mit Unterstützung ritueller Trommeln komponieren die Chinesen ihre Schmerzpartitur.
13. Juni bis 13. Juli 2013; Globe Neuss; Info und Karten: 02131/526 99 99 9;