Der Blick zurück musste ausfallen. So wie große Teile des gesamten Impulse Theater Festivals, das aufgrund der Pandemie in diesem Jahr nur digital stattfinden konnte. Eigentlich wollte Festivalleiter Haiko Pfost anlässlich des 30-jährigen Bestehens der Impulse in die Vergangenheit schauen. Zur Feier des Jubiläums sollte ein Buch erscheinen, dass die Geschichte des Festivals und der Freien Theaterszene aufgearbeitet hätte. Doch das war angesichts der Theaterschließungen im Frühjahr und Sommer keine Option mehr. Statt sich wehmütig mit dem Vergangenen zu beschäftigen, haben Pfost und seine Mitherausgeber*innen, die Dramaturgin Wilma Renfordt und der Kulturjournalist Falk Schreiber, nun an eine Bestandsaufnahme der Gegenwart gemacht und sogar einen Blick in die Zukunft gewagt.
In 28 meist kurzen Texten machen sich Protagonisten der Freien Szene, Kurator*innen und Tänzer*innen, Regisseur*innen und Kollektive, Dramaturg*innen und Journalist*innen, Gedanken über den ersten Theater-Lockdown im Frühjahr 2020. Einige wie Julian Kamphausen und Susanne Schuster, die gemeinsam das Hamburger Festival »Hauptsache Frei« leiten, berichten von ihren konkreten Erfahrungen. Sie waren die ersten, die ein Theaterfestival von der Bühne in den digitalen Raum verlegten. Der Erfolg des so entstandenen Festivals »Hauptsache Online« hat ihnen Perspektiven für die Zukunft eröffnet: »Für eine nachhaltige künstlerische Praxis des Digitalen braucht es jetzt mehr denn je Zugänge zu Wissen, Plattformen zum Teilen von Expertisen und nachhaltige Fördermodelle.«
Ähnliche Forderungen finden sich in einer Vielzahl der Texte. Auch der Politikwissenschaftler Jan Deck, die Leiterin des Fachbereichs Performing Arts bei der Kunststiftung NRW Christine Peters, die Juristinnen Nora Auerbach und Sonja Laaser sowie Sebastian Linz, der in Salzburg als künstlerischer Geschäftsführer der ARGEkultur tätig ist, machen sich grundsätzliche Gedanken darüber, wie sich die Strukturen der Freien Szene in Zukunft verändern müssen. Oft ist dabei vom bedingungslosen Grundeinkommen ebenso wie von anderen, längerfristig gedachten Fördermodellen die Rede, die Künstlerinnen und Künstler nicht nur von einem Projekt zum nächsten treiben. Die Texte entwerfen zugleich Szenarien, die weit über die Zusammenhänge der Freien Theater hinausreichen, und porträtieren die Szene als Labor – für die gesamte Gesellschaft.
Haiko Pfost, Wilma Renfordt, Falk Schreiber, NRW KULTURsekretariat, Impulse Theater Festival (Hrsg.): »Lernen aus dem Lockdown? Nachdenken über Freies Theater«, Alexander Verlag Berlin, 232 Seiten, 14 Euro