TEXT: VOLKER K. BELGHAUS
Dank eines Niederländers können sogar schlechte Nachrichten gut aussehen. Der Schriftgestalter Lucas de Groot hat jene beiden Schriften entworfen, die allabendlich in der Tagesschau und den Tagesthemen die Weltkrisen wenigstens optisch erträglich machen. »TheAntiqua« und »TheSans« heißen diese Schriftfamilien, die aus der »Thesis« hervorgingen und alles haben, was gutes niederländisches Design ausmacht: Sie drängen sich nicht den Vordergrund, setzen auf Funktionalität wie Lesbarkeit und strahlen dabei eine gewisse »Wärme« aus. Auch die Konstruktionen der Schriften »Scala« (Martin Majoor) und »Quadraat« (Fred Smeijers) basieren auf Feder- oder Tuschzeichnungen und nicht auf starrer Geometrie. Das ist der Unterschied etwa zum Schweizer Design, das vielen Betrachtern eher kühl und sachlich vorkommt. Aber auch die niederländische Gestaltungskunst hat längst die Grenzen des eigenen Landes überwunden und ist weltweit gefragt. Dass Adrian van Hooydonk im letzten Jahr den BMW-Chefdesigner Chris Bangle ablöste und der Produktdesigner Tord Boontje die Nachfolge von Ron Arad als Professor am Londoner »Royal College of Art« antrat, bestätigt diesen Trend. Auch die niederländische Regierung fördert massiv die Kreativwirtschaft, gerade im Bereich Design.
Es ist also Zeit, sich einen Überblick über die Szene zu verschaffen. Gelegenheit bietet dazu ab Anfang April das »red dot design museum« auf der Essener Zeche Zollverein mit der Sonder-ausstellung »Best of Dutch Design«. Präsentiert werden die Arbeiten der Finalisten und Gewinner des »Dutch Design Awards 2009« in drei Kategorien: Kommunikationsdesign, Produktdesign und »Spatial Design«, eine neue Sparte, die Architektur, Raum- und Landschaftsdesign umfasst. Das »red dot design museum« ist die erste Station dieser Wanderausstellung, die den Arbeiten von namhaften Gestaltern wie Studio Wieke Somers, Maarten Baas, Thonik, Philips Design, Gert Dumbar (dessen Studio auch den Ausstellungskatalog kreiert hat), Jelte van Abbema (young talent 2009) und anderen ein Forum bietet.
Im niederländischen Design lassen sich momentan zwei Trends beobachten. Die Zeiten, in der gute Gestaltung hauptsächlich für eine gehobene und etablierte Käuferschicht entstand, scheinen vorbei. Die Designstrategien richten sich verstärkt auf soziale Fragestellungen und erreichen damit das »normale« Leben. Auch das Thema Nachhaltigkeit rückt in den Vordergrund, nicht nur beim Produkt selbst, auch in den Entwicklungs- und Herstellungsprozessen.
Bei vielen Beiträgen der Ausstellung fällt zudem auf, dass sich die Designer stark an der Tradition und Geschichte eines Produkts und des Landes orientieren und diese eher weiterentwickeln, als futuristisch-abgehobene Entwürfe zu ersinnen. Hinzu kommt das lustvoll-ironische Spiel mit den eigenen Klischees, wie bei der Geneverflasche der Firma Bols. Das Amsterdamer Designbüro »…, staat« verpasste dem Nationalgetränk eine neue Hülle. Seit Jahrzehnten wird der Wacholderschnaps in irdenen Flaschen an den Mann und die Touristen gebracht, »…, staat« ersetzte das rustikale Material durch grau-schwarzes Rauchglas und machte so den Genever Lounge-tauglich. Der kalligrafische »Bols«-Schriftzug von Niels Meulman zitiert die Fensterbeschriftungen der Amsterdamer Bars und Cafés. Ähnlich die Agentur »Demakersvan« aus Rotterdam. Die bläst mit »Home Sweet Home« die beliebten Klöppeldeckchen mit den typischen Windmühlen- und Blumenmotiven auf Übergröße auf, ersetzt dafür das Garn durch graue PVC-Kabel und »klöppelt« daraus den Maschendrahtzaun»Lace Fence«.
Selbst im Möbelbereich ist das Traditionsbewusstsein spürbar. So zitiert die Tafel »Nomad« von Jorre van Ast bewusst die rustikale Schlicht-heit von Bauernmöbeln. Seine Konstruktion mit den nach außen gerichteten Tischbeinen kommt ohne jegliche metallische Verbindungen aus. Eher an die 70er Jahre erinnert die Küche des Hauses »Parksite« von »Doepel Strijkers Architects«. Das Haus selbst wird wie ein Fertigbausatz aus vorproduzierten Etagen und Räumen zusammengesetzt. Das knallig-orangefarbene Küchenelement aus Kunststoff hat die Form einer großzügigen Freitreppe, die die Kochstätte mit dem Rest des Hauses verbindet.
In der Sparte Kommunikationsdesign kommt man logischerweise nicht an der niederländischen Schriftgestaltung vorbei. Der typogra-fische Forscher Wim Crouwel wurde zu seinem 80. Geburtstag im Jahr 2008 mit einer Reihe von Ausstellungen geehrt. Diese Präsentationen und Ausschnitte seiner Arbeiten werden ebenfalls als »Best of Dutch Design« dokumentiert. Andere Designer wie René Put reizen das Medium Papier bis zum letzten aus. Seine Briefmarken zum Gedenken an Louis Braille werden dank der geprägten Blindenschrift auch für Sehende zum haptischen Erlebnis. Die Plakate von Sybren Kuiper (Büro »SYB«) für »Julidans 2009«, einem internationalen Festival für zeitgenössischen Tanz, irritieren durch ungewöhnliche Bildaus-schnitte und Hängungen: Erst zwei Plakate nebeneinander ergeben das ganze Bild, kombinieren beispielsweise die Körper einer Seniorin und eines Bodybuilders und zeigen so das Selbstverständnis des Festivals: Die Verbindung zwischen populär und unbekannt, Ost und West, alt und neu.
Der Niederländer erneuert sich halt gern und muss sehen, dass er Land gewinnt. Unter dem Begriff »Spatial Design« zeigt die Ausstellung Beispiele der »räumlichen Gestaltung« im weitesten Sinne. Die 24 Meter lange »Moodwall« (Urban Alliance) aus 2500 LED-Lampen schmückt einen tristen Fußgängertunnel bei Amsterdam und reagiert mit immer neuen Lichtanimationen interaktiv auf vorübergehende Passanten. Einige ausgezeichnete Objekte der Ausstellung befinden sich aber schon länger auf Zollverein. Man findet sie auch nicht im Museum, sondern z.B. gegenüber vom Ruhr Museum. Dort steht einer jener sechs Informations-Pavillons, die die Künstlergruppe »Observatorium« (Rotterdam) entworfen hat: skulpturale Portierslogen aus groben Betonstelen, die interessante Blickachsen auf das Gelände eröffnen. »The Best of Dutch Design« zeigt ein selbstbewusstes Land mit langer Designtradition, das viel mehr erzählt als die üblichen Bewusstseinsstanzen einer Frau Antje, kiffenden Jugendlichen und gardinenlosen Fens-tern. Alles andere wäre auch Käse.
red dot design museum Zeche Zollverein, Essen. 8. April–2. Mai. 2010 Tel. 0201/30104-25. www.red-dot.de/museum