Eine Glosse von Volker K. Belghaus
// Konsensbombast mit didaktisch-verkopftem Text. Das trifft dieses auf sechs Minuten aufgeblasene Stück Musik wohl am besten. »Komm zur Ruhr« ist die Auftragsarbeit der Kulturhauptstadt RUHR.2010 und soll als »Hymne« das kleine, dreckige »Bochum« aus dem Jahr 1984 ablösen: Zeilen wie »Du hast einen Pulsschlag aus Stahl / Man hört ihn laut in der Nacht« scheinen nicht mehr förderlich für das moderne Image des Reviers zu sein. Da können sich die Fans des VfL Bochum im Stadion noch so laut »Machst mit dem Doppelpass jeden Gegner nass /Du und dein VfL!« von der Seele grölen – uns’ Herbert fordert neuerdings »Komm zur Ruhr«.
Der Text ist – ja was eigentlich? Abstrakte Lyrik? Oder doch ein typischer Grönemeyer, merkwürdig rumpelnd zusammengereimt? Es beginnt mit einem Versprechen: »Wo ein raues Wort dich trägt, weil dich hier kein Schaum erschlägt«. Schaum? Also Peter Sloterdijk? Eher nein, sondern die blumige Umschreibung für revier- und Schimanski-typisches Vokabular. Zudem lässt Grönemeyer seinem Hang zum hemmungslosen Reimen freien Lauf. Man ist geschüttelt, nicht gerührt: »Wo man gleich den Kern benennt und das Kind beim Namen kennt. / Von klarer offner Natur, urverlässlich, sonnig stur, /leichter Schwur: Komm zur Ruhr.« Nach Zeilen wie diesen ist man froh, dass Dieter Gorny Grönemeyer nicht gezwungen hat, den Begriff »Kreativwirtschaft« im Text unterzubringen. Was würde sich darauf reimen? Grauenhaft? Manneskraft? Dreiwettertaft? Zeche Zollverein, die Frisur sitzt.
Der Text leider nicht. Da blickt der Barde in die Volksseele und wanzt sich an: »Schnörkellos ballverliebt, wetterfest und schlicht.« Wer jetzt? Die Menschen oder die Reime? »Geradeaus, warm, treu und laut – / hier das Leben, da der Mensch, dicht an dicht / Jeder kommt für jeden auf, in Stahl gebaut.« Da lodert sie noch in den Herzen, die Solidarität, wie damals in Rheinhausen. Auch die Geologie wird leicht verstolpert: »Leute geben, Leute sehn, sie bewegen, sie verstehn, alle vom Flussrevier. / Dass der Rhein sich neu genießt, liegt an diesem Glücksgebiet.« Klar, in Dortmund am Rhein wird’s die Menschen freuen. Am Ende dann das Fazit, bestritten mit nur einer Endsilbe: »Seelenruhr von schwerverlässlicher Natur. /Urverlässlich, sonnig, stur – so weit, so ur: Seelenruhr. /Ich mein’ ja nur: Komm zu Ruhr.« Man wartet auf ein passendes Musikvideo, das Gregor Schneider in seiner bekanntesten Installation, dem »Haus ur« in Mönchengladbach-Rheydt drehen könnte.
Bleibt die Musik. Hier hat man alles getan, um hymnisch zu wirken. Der charmant-leichte Elektrobeat, der anfangs zu hören ist, geht schnell in den Tonspuren aus Rockgitarren, Streichern und Symphonie-Orchester unter, und unter Grönemeyers Stimme hat man stur und pur einen Background-Chor gemischt. Glück auf, der Herbert kommt. Nach der Uraufführung des Liedes beim RUHR.2010-Eröffnungsfestakt auf Zollverein stieg »Komm zur Ruhr« prompt auf Platz 1 der MP3-Charts auf Amazon.de. So ist das halt mit Herbert Grönemeyer – man kann ihn belächeln, seine Musik geht aber weg wie warme Currywurst. Irgendwie hat doch jeder verschämt ein Exemplar von »Mensch« im Plattenregal stehen. Ob seine Hymne wirklich mitgröl- und gänsehautkompatibel ist, wird sich zeigen. Die Liebe der Menschen zu »Bochum« ist über Jahre gewachsen, und solche Hymnen auf die eigene Identität entwickeln sich von unten, aus der Bevölkerung. Schauen wir mal, ob »Komm zur Ruhr« die Herzen unterm Feuerzeugmeer erwärmen wird. Bis dahin werden wir uns wohl dabei ertappen, zumindest die Melodie von Herberts Hymne im Radio mitzusummen. Und dabei eine Zeile aus seinem Lied »Mensch« im Kopf zu haben: »Es ist OK, es tut gleichmäßig weh.« //