Text: Nicole Hartje-Grave
Krieg, Verfolgung, Flucht – brandaktueller geht es nicht. Religiöser Fanatismus und mangelnde Toleranz gegenüber Andersgläubigen bestimmen unsere Epoche. Was sich auch in der Kunst widerspiegelt, die sich in jüngerer Zeit verstärkt mit Leiden und Tod, Religion und Glauben beschäftigt und dabei auf christliche Bildtraditionen zurückgreift. Diesen Trend nimmt die Kunstsammlung NRW auf. Der umfassende Anspruch und die Größe der Ausstellung auf mehreren Etagen des Ständehauses stehen in Bezug zum 50-jährigen Jubiläum des Zweiten Vatikanischen Konzils. Darin beschloss die Katholische Kirche die Öffnung zur Gesellschaft und auch zur Kunst, die seither gerade in katholisch geprägten Ländern, etwa Belgien, Spanien und Polen, aber auch in Deutschland, eine neue säkularisierte Blüte erlebt.
Die Schau setzt ein paar Jahre vor dem Konzil ein: mit Arbeiten aus den 1950er bis 1980er Jahren. Darunter Werke von Robert Rauschenberg, von Ad Reinhardt und James Turrell, die beispielhaft die subtile Durchdringung des christlichen Zeichensystems in die moderne Bildsprache belegen. Denn mit Nachdruck versuchten diese Künstler, das Nicht-Darstellbare, Unsichtbare und ein Gefühl von Erhabenheit und Transzendenz ins Bild zu fassen. Deutlich wird das in den 1951 gemalten »White Paintings« aus Rauschenbergs kurzer religiöser Phase, wo sich das Unaussprechliche, Unbegreifliche auf die Substanz weißer Farbflächen zurückführt. Die Farbe »Weiß«, schrieb er, stehe bei ihm für das Göttliche, gemäß der Überzeugung: »One White as one God«.
Vom Grundprinzip ähnlich, schuf Ad Reinhardt wenig später sogenannte »Black Paintings« – abstrakte, dunkle Bilder aus verdichteten, schwarzen Farbwerten. Doch Reinhardt beließ es nicht bei der Darstellung von Schwarz: Schaut man sich die Leinwände genau an, wird in einigen Fassungen die Form eines griechischen Kreuzes sichtbar, das aus der Dunkelheit hervorschimmert. Die intensive Betrachtung der »Black Paintings«, so der Wunsch des Künstlers, soll zur spirituellen Erfahrung, geistigen Transformation und Reinigung des Denkens führen. Eine ebenso übersinnliche Erfahrung lehrt uns »Grey Dawn« (1991/2015) von James Turrell: In einem finsteren Raum wird an der Stirnseite nicht nur ein monochromes Farbfeld erkennbar – still und unerklärlich öffnet sich dort ein zweiter, aus Licht geformter Farbraum. Wie kaum ein Phänomen sonst verweist der unbegrenzte Lichtraum auf die universelle Bedeutung von Licht als göttliche Erscheinung.
Von hier zieht sich eine einfache, doch zentrale Frage durch die Ausstellung: Wie hat sich die uralte christliche Ikonografie bis ins 21. Jahrhundert entwickelt? Klar scheint, dass sie sich immer weiter entfernt hat von einer einfachen Lesart des biblischen Geschehens oder der Glaubensinhalte. Im K21 wird anschaulich, wie Künstler mitunter komplexe Geschichten und Bilder erfinden, sich differenziert und hintergründig mit christlichen Motiven, Themen und Fragen aus-
einandersetzen. Sakrale Kunst im herkömmlichen Sinn wird dabei zur Randerscheinung. Der Blick richtet sich vielmehr auf Arbeiten, die zwar christliche Symbole und Religiöses aufgreifen, sie jedoch kritisch reflektieren und in neue Zusammenhänge überführen.
Die vielleicht eindrucksvollsten Arbeiten stammen von der Belgierin Berlinde de Bruyckere. Geprägt durch die mediale Bilderflut vom Leid der Menschen durch Krieg, Folter und Verfolgung, schafft sie lebensgroße wächserne Körper voller Verletzungen und Trauer. Nicht nur Nachrichtenbilder haben sie inspiriert. Antike Mythologie und eben die christliche Ikonografie dienen als visuelle Motivquellen. Insbesondere in der Passion und deren Verbildlichung durch Maler wie Matthias Grünewald, Mantegna, Jusepe de Ribera und Caravaggio findet sie Stoff, um diesen zu humanisieren. In der Serie der »Schmerzensmänner« von 2006 (ausgestellt sind die Fassungen IV und V) ist der Bezug zum Leiden Christi schon im Titel angelegt. Die Figuren sind auf meterhohe Eisenpfeiler montiert und assoziieren die Kreuzigung. Durch das Weglassen der Querstreben und das Fehlen der Köpfe und Arme sieht de Bruyckere ihre Figuren im Hier und Jetzt: als bewegende Metaphern menschlichen Leids.
Weitere Werke der Leidens-Erfahrung stammen von Francis Bacon, Hermann Nitsch und Paloma Varga Weisz. Auch Bill Viola gehört dazu mit seiner eindrucksvollen Videoprojektion »The Quintet of the Astonished« aus einem umfangreichen Projekt zur Passion. Angeregt durch den Getty-Workshop »The Representation of the Passion« befasste sich Viola mit Hieronymus Boschs Tafelbild der »Dornenkrönung Christi«, aus dessen Komposition er ein fünfzehnminütiges Video entwickelte. In halbfigürlicher Anordnung sind fünf Personen in zeitgenössischer Kleidung zu sehen, die sich langsam bewegen und auf unterschiedliche Weise trauern. Violas Inszenierung traditioneller Pathosgesten schließt sich an die Vorstellung Leon Battista Albertis an, nach der sich die innere Bewegung einer Figur durch deren äußere Bewegung ausdrückt.
Bei Michaël Borremans geht es um christliche Rituale und deren Bedeutung. In dem Film »The Bread« (2012) führt eine junge Frau ein Stück Brot zum Mund. Durch ihre stille Handlung und Konzentration kann dies mit der Eucharistie in Verbindung gebracht werden. Es wäre jedoch keine Arbeit von Borremans, wäre die Deutung nicht vielfach gebrochen: So scheint der Oberkörper auf der Tischplatte zu schweben, und die Frau erweckt den Eindruck einer Schaufensterpuppe – an die Stelle von Eucharistie und Glauben treten Künstlichkeit und Effekt.
Recht bekannt sind die Heiligenfiguren von Katharina Fritsch. Mit Abgüssen christlicher Motive und Figuren wie »Selbstklebendes Kreuz«, »Engel« und »Madonna«, denen sie eine monochrome, grelle Farbigkeit gibt und die sie an ungewöhnlichen Orten aufstellt, erinnert die Düsseldorferin daran, dass selbst eine Madonnenfigur reproduzierbar ist und trotz ihrer vertrauten Formgebung fremd sein kann. Nachdem Fritsch während der Skulptur Projekte Münster 1987 mit ihrer überlebensgroßen, neonfarbigen Maria für Provokation sorgte, machte sie später die Nippesfigur des »Heiligen Michael« (2008) zum farbigen Kunstobjekt aus Polyester. So führt sie einen Dialog zwischen Vertrautheit und Fremdheit, Realität und Transzendenz.
Humorvollen Umgang mit Religion offenbart die zum Titel der Ausstellung gewordene Arbeit »The Problem of God« (2007) von Pavel Büchler. Sein Werk besteht aus einem gefundenen Buch, zwischen dessen Seiten er ein altes Vergrößerungsglas geschoben hat. Büchler beließ es jedoch nicht bei der Lupe, sondern verwendete sie als Projektionsfläche für das spiegelverkehrt lesbare Wort INVISIBLE. Das Unsichtbare, das Nicht-Darstellbare entzieht sich der Anwesenheit. Folgt man Jean-Luc Nancy in seinen Überlegungen zur »Dekonstruktion des Christentums« (2008), zeichnet sich der Glaube gerade durch den Rückzug Gottes aus, da »das Universelle nicht die Form einer Anwesenheit haben« kann.
Kunstsammlung NRW, K21, Düsseldorf »The Problem Of God«, bis 24. Januar 2016,