REZENSION ANDREAS WILINK
Die Geschichte, die Jeannette Walls in ihrem autobiografischen Bestseller beschreibt, ist eine von himmelhoch und höllentief. Ihr Vater Rex (Woody Harrelson), Öko-Freak und robuster alter Krieger mit sattem Alkoholproblem, ignoriert alle sozialen Regeln und setzt die persönliche Freiheit absolut. So dass sie zum Gefängnis wird. »Don’t fence me in« klingt einmal auf der Tonspur. Er mutet seiner kreativen, malend dilettierenden Ehefrau Rose (Naomi Watts) und den vier Kindern, die nur im Sich-Verbünden gegen die alternativen Eltern den Ausweg finden, ein völlig verwahrlostes Vagabunden-Leben zu. Insofern erinnert »Schloss aus Glas« an die zivilisationsmüden Väter in Peter Weirs »Mosquito Coast« und Matt Ros’ »Captain Fantastic«.
Aber eindeutig ist ihr nomadisierendes Aufwachsen nicht. Sie haben auch Spaß. Aber vor allem Hunger und Mangel, Angst und Unsicherheit. Familie als unentrinnbares Schicksal – und Erbsünde. Denn dass Rex wurde, was er ist, kommt nicht von ungefähr. Auch er hatte eine Mutter … Jeannette (Brie Larsen / Ella Anderson / Chandler Head) schaut als Erwachsene zurück in ihre Kindheit, nachdem sie sich in New York etabliert und Komfort, Stil und Prestige als selbstbewusste Gesellschaftsreporterin und Verlobte eines Vorzeige-Finanzmaklers erreicht hat. Dass der Konflikt im erlösenden Sprechakt und Psycho-Stresstest zu bereinigen sei, ist der ewig-optimistische Ansporn. Man hätte das freilich anders und nicht so mainstream-mäßig erzählen können bzw. müssen, wie es Destin Daniel Cretton tut, um das Drama des begabten Kindes mit seinem Vater zum großen cinéma verité zu machen.
»Schloss aus Glas«; Regie: Destin Daniel Cretton; USA 2017; 127 Min.; Start: 21. September 2017.