TEXT: STEFANIE STADEL
Was soll das? Man blickt in ein Zimmer mit einem verlassenen Schreibtisch. Und auf Dinge, die gut zu einem Stillleben passen würden – verwelkte Blumen, ein voller Aschenbecher, das Kerngehäuse eines abgegessenen Apfels. Bald kommen ein Mann und eine Frau ins Spiel. Unabhängig voneinander tun sie sich in dem Zimmer um: essen Äpfel, rauchen Zigaretten, sortieren Fotos und Karteikarten. Zwischendurch immer wieder Sequenzen, die auf Flohmärkte führen oder in Depots, wo sich Massen alter Kleider türmen.
Das sei nicht mehr als ein »schäbiger Film Noir, der wünschte, er wäre ein intellektueller Thriller«, scherzt Corin Sworn. Doch bleibt es in ihrem neuesten Werk nicht beim Film. Was die kanadisch-britische Künstlerin jetzt im Neuen Aachener Kunstverein zum Besten gibt, ist eine ausgeklügelte Video-Sound-Licht-Installation. Denn gelegentlich verfinstert sich die Projektionsfläche, und das Geschehen greift über auf den Vorführungsraum. Eine weibliche Stimme ertönt wechselseitig aus vier Lautsprechern – als würde sich die Sprecherin umherbewegen. Sie erzählt von einer rätselhaften Begegnung. Dazu werden, wie von Geisterhand, blaue und gelbe Kugellampen an- und ausgeknipst.
Der Vergleich mit dem Thriller liegt nicht fern. Spielt Sworn in ihrer verrätselten Inszenierung doch mit ganz ähnlichen Mitteln. Sie weiß, wie man Spannung aufbaut, den Betrachter bei Laune hält. Nach und nach erst beginnt man, Zusammenhänge zu erahnen. Es geht in dieser Arbeit wohl um alte, benutzte, abgelegte Dinge, die in ihrem »zweiten Leben« Teil einer neuen Geschichte werden. Dazu passt der Titel »The Rag Papers«, der sich mit »Lumpenpapier« übersetzen ließe und auf die Wiederverwertung von Alttextilien in der Papierherstellung hindeuten könnte.
RECHERCHE IN INDIEN
Sworns filmische Ausflüge auf Flohmärkte und in Hallen, wo Altkleider und gebrauchte Haushaltswaren sortiert werden, konkretisieren das Thema. Die Künstlerin hatte im Vorfeld intensive Recherchen betrieben – vor allem in Indien, wo das Big Business mit den Second-Hand-Waren boomt. Gestalt nehmen ihre Ideen im Erdgeschoss des Kunstvereins an, wo sie gebrauchte Textilien in neuen Wandarbeiten aufleben lässt. Dazu posiert eine kopflose Schaufensterpuppe im säuberlich durchlöcherten Anzug. Überall geben die Öffnungen im feinen Zwirn den Blick frei auf tieferliegende Stoffschichten aus vergangenen Zeiten.
Mit »The Rag Papers« kann der Neue Aachner Kunstverein die bisher umfangreichste Arbeit der 36-Jährigen präsentieren. Auf zwei Etagen in einer 2001 bezogenen Villa, die lauschig mitten im Stadtgarten liegt. In seinem »ersten Leben« diente der 30er-Jahre-Bau als Wohnhaus des Gartenbaudirektors.
Sworns Auftritt dort erscheint umso spannender, als er erstmals überhaupt in Deutschland Einblicke gibt in das Schaffen der Künstlerin, die in Kanada geboren wurde und in Glasgow lebt. Demnächst wird sie Schottland auf der Biennale in Venedig vertreten. Was sie dort zeigen will? Das ist noch ein Geheimnis.
Zumindest liegen aber die Geschicke des Aachener Kunstvereins neuerdings nicht mehr im Dunkeln. Nach dem Weggang von Dorothea Jendricke, die noch die Sworn-Ausstellung eingefädelt hatte, wird Ben Kaufmann die Leitung des 1986 gegründeten Instituts mit seinen rund 400 Mitgliedern übernehmen. Früher war Kaufmann Künstler, dann vielbeachteter Galerist in München und Berlin. Sicher ein hoffnungsvoller Neuzugang für Aachen – man kann gespannt sein, wie sich der 41-Jährige im neuen Kontext machen wird.
NAK – Neuer Aachener Kunstverein bis 9. Juni 2013. Tel.: 0241/503255. www.neueraachenerkunstverein.de