Nahrhaftes für Hirn, Ohr und Herz. Die kultur.west-Redaktion hat kleine und große Köstlichkeiten gefunden – in Büchern, Filmen, Musik und Blogs.
Schmackofatz
Kat Menschiks illustriertes, farbfröhliches Kochbuch »Essen essen«
Sonnengelb leuchtet der Umschlag, die Tomatensoße auf dem Teller Spaghetti funkelt rot und lächelt sogar freundlich. Im Inneren von Kat Menschiks Kochbuch »Essen essen« geht es ähnlich farbenfroh weiter, die Illustratorin nimmt uns mit durch ihr Küchenjahr. Sie stellt traditionelle Gerichte aus ihrer Familie vor, aber auch neue Rezepte aus ihrem Freundeskreis – von Klassikern wie Königsberger Klopse und Senfeiern bis hin zum georgischen Hühnchen »Schqmeruli« ihres Kumpels Ladi. Ebenso dabei und lecker: Stullen, Käsekuchen, Auberginen mit Walnüssen und Granatapfel sowie Schmorgurke. Menschik verbindet die Rezepte dabei mit illustrierten und handgeletterten Geschichten – wie etwa den Neujahrs-Borschtsch, den sie als perfektes Kater-Gegenmittel im Kapitänshäuschen in Ahrenshoop an der Ostsee kennen- und schätzengelernt hat. Ein Schmackofatz für Augen und Gaumen!
Kat Menschik »Essen essen (mehr ist mehr!)«. Galiani Verlag, 112 Seiten, 18 Euro
Betreutes Genießen
Unbedingt hörenswert: der Podcast »Völlerei & Leberschmerz«
Hungrig? Wer es vorher noch nicht war, wird es beim Hören dieses Podcasts garantiert. Anders als der Titel suggeriert, sind die drei Macher*innen von »Völlerei & Leberschmerz« eher bei den Gourmets als den Gourmands unterwegs und sprechen über qualitativ hochwertige Lebensmittel, gute Restaurants und spezielle Zubereitungsarten. Lee Greene, Carmen Hillebrand und Thomas Knüwer kommen aus Düsseldorf, deshalb liegt ihr Fokus auf NRW, sie suchen sich ihre Gesprächspartner*innen aber auch bundesweit oder sogar im Ausland. So interviewen sie Produzenten von veganen Ersatzprodukten, Köche von Sterne-Restaurants, aber auch die Inhaberin des kleinen Käseladens von nebenan. An die Themen gehen die drei, die den Podcast als Hobby betreiben, professionell und durchaus kritisch – und können sich untereinander auch richtig streiten. Beim guten Geschmack ist sich das Podcast-Team dann aber schnell wieder einig: Während der Pandemie lassen sie sich schon mal Sterne-Essen liefern und verkosten es in einer Videokonferenz – kleine Frotzeleien über die Ess- und Trinkgewohnheiten der jeweils anderen inklusive. In jeder etwa 45-minütigen Folgen gibt es zusätzlich Empfehlungen in der Rubrik »Leckerer Scheiß«. So ist »Völlerei & Leberschmerz« eine unterhaltsame Erweiterung des kulinarischen Horizonts – das Feature der Audio-Geschmacksübertragung haben allerdings auch sie noch nicht erfunden. Schade!
Der Kunst zum Wohle
Das Triviale der Existenz lässt sich auf sehr unterschiedlichen Wegen überwinden. Tania Blixen war darin bewandert, als Dichterin wie als Frau. Eine biedere, beschauliche und bescheidene Welt, in der die Milch frommer Denkungsart gewissermaßen mit Löffeln gegessen wird, als Haferschleim und dünne Suppe und mit einem dankbaren Halleluja. Die Große Welt hält Einkehr in das Fischerdorf an der kargen jütländischen Küste, dessen Mittelpunkt der pietistische Prediger bildet und nach seinem Tod die beiden Töchter. Sie klopft an in Gestalt einer Französin, die die gleichmachende Revolution aus Paris vertrieben hat. Babette führt künftig den ledigen Schwestern Martina und Philippa, denen in ihrer Jugend jeweils die Liebe begegnet war, den Haushalt. Tania Blixen, die Dänin, die in Afrika ihr Glück suchte, fand und es verlor, erzählt immer wieder von Künstlerschicksalen. Denn auch die Köchin der Aristokratie, Babette, ist Künstlerin – im Exil. Einmal aber zeigt sie ihr ganzes Können, als höbe sich der Vorhang über einer verschwenderisch ausgestatteten Szene. Sie verwendet ihren unverhofften Lotteriegewinn, um ein Souper, nein, nicht zu kochen, zu braten, zu backen, sondern es zu inszenieren. Das Paradies eröffnet sich den Augen und Gaumen der geladenen Konventikler, deren asketische Gesinnung verbietet, über irdische Genüsse in Entzücken zu geraten, obgleich ein Veuve Cliquot 1860 und ein Gericht wie Cailles en Sarkophage mit Foie Gras und Trüffelsauce schon ans Himmlische grenzen. Stattdessen nehmen sie die Labsal stoisch und etwas bigott auf und zu sich wie ein verhängtes Schicksal. Aber unter den Gästen ist einer, der erschmeckt und erkennt das Exquisite – was geht Babette das übrige Publikum an. AWI
Tania Blixens Erzählung »Babettes Gastmahl« wurde 1987 unter dem Titel »Babettes Fest« wunderbar von Gabriel Axel mit Stéphane Audran verfilmt und unter anderem mit einem Oscar ausgezeichnet. Der Film ist in mehreren DVD-Editionen erhältlich, die Erzählung unter anderem bei Manesse und Wagenbach erschienen.
Alles andere als leicht
Salvador Dalís surrealistisches Kochbuch »Die Diners mit Gala«
»Les dîners de Gala ist einzig den Freuden des Gaumens gewidmet. (…) Sollten Sie ein Jünger jener Kalorienwieger und -wäger sein, die die Freuden des Mahles in Strafen verwandeln, so schließen Sie dieses Buch sofort: Es ist viel zu lebendig, viel zu aggressiv und viel zu herausfordernd für Sie.« Mit diesen Zeilen wandte sich Salvador Dalí an die Leser*innen seines surrealistischen Kochbuchs, das jetzt als zwei Kilogramm schwerer Prachtband und Augenschmaus wieder aufgelegt wurde. Es geht auf die legendären Dinnerpartys zurück, die Dalí und seine Gattin und Muse Gala für ihre Gäste gaben, und ist in der Tat keine leichte Kost. Der Maler hat die 136 Rezepte in seine typisch surrealistischen Bildwelten umgesetzt – die Kapitel tragen Titel wie »Sodomitische Zwischengerichte«, »Monarchenfleisch« oder »Desoxyribonuklein-Atavismen«. Ein wildes Gesamtkunstwerk, aus dem sich alle Rezepte nachkochen lassen sollen, mit etwas Übung und gutgefüllter Vorratskammer.
»Dalí. Die Diners mit Gala«. Taschen Verlag, 320 Seiten, 50 Euro
Das andere Abendmahl
Ein letzter Schmaus: Wolfgang Amadeus Mozarts »Don Giovanni«
Der große Heide, der große Verführer will es noch einmal wissen und fährt mächtig zum Schmaus auf. Isst und trinkt, Fasan und exzellenten Marzemino-Rotwein. »Er ist gut bei Appetite! Was sind das für Riesenbissen…« Das üppige Mahl ist eine Provokation, die seinen Diener schlottern lässt, weil Leporello spürt, dass hier jemand eine Grenze überschreitet und das Schicksal herausfordert: koste es, was es wolle. Dieses andere letzte Abendmahl ist nicht auf Gebet, Geist und Gnade hin angerichtet, sondern auf irdische, sinnliche Lust. Der aber ist Buß’ und Reue fremd, so dass auf die mahnende Forderung umzukehren mehrfach mit »Nein« geantwortet wird, worauf sich der Hölle Rachen auftut und Don Giovanni verschlingt. Mozarts faustisches Dramma giocoso und Don-Juan-Variation bildet einen einzigen Widerstreit von Genuss und Verzicht, Moral und Amoralität. Man könnte auch sagen, es findet ein Kampf statt zwischen einer Passion Johann Sebastian Bachs und eben der triumphal kühnen Mozart-Musik diesseitiger Erfüllung. Das Feuer der Verderbnis kann da am Ende noch so lodern, unheimlich heller leuchtet die Flamme der Empörung, des Begehrens und der Triebkraft.
Märchenhafter Kannibalismus
Rolf Riehms Hörstück »Machandelboom« nach den Gebrüdern Grimm
Gewalt ist in den »Kinder- und Hausmärchen« allgegenwärtig, selten aber so verdichtet wie im »Machandelboom«. Als Kind habe er das Märchen nicht verstanden, erinnert sich der Komponist Rolf Riehm. Erst im Erwachsenenalter interessierte ihn wieder die Geschichte von der Stiefmutter, die ihrem Sohn mit einem Truhendeckel den Kopf abschlägt, aus seinem Fleisch eine Suppe kocht, in die die Schwester hineinweint, und sie dem Vater vorsetzt. 1982 machte er für den WDR daraus ein Hörstück – mitten im kalten Krieg, der Reagan-Ära, der atomaren Aufrüstung. Die unsentimentale, kalte Aneinanderreihung von Grausamkeiten sah Riehm in den Diskussionen seiner Zeit gespiegelt. Legendär ist sein Machandelboom auch wegen der Besetzung: Neben dem Schauspieler Michael Hanemann, der WDR-Moderatorin Gisela Corves und dem Schriftsteller Paulus Böhmer sind auch der Komponist Heiner Goebbels und Alfred 23 Harth, Mitbegründer des »Sogenannten Linksradikalen Blasorchesters« und von »Cassiber« zu hören.
CD: Rolf Riehm, Machandelboom, CYBELE
Haute Cuisine und Barberei
Die satirische Dystopie »Manaraga« von Vladimir Sorokin
Im »Tagebuch eines Meisterkochs« plaudert der namenlose Ich-Erzähler über sein weltweites Nomadentum. Von einem exklusiven Kochevent reist er zum nächsten. Nach einem fiktiven Krieg, der Europa verwüstet hat, und der vollständigen Digitalisierung der Bücher hat die verbliebene zahlungskräftige High Society einen neuen Thrill entdeckt: Kobe-Rind und Stör, Garnelen und Frikadellen gegrillt über kostbaren Erstausgaben von Büchern. Das kunstvolle Abfackeln von Dostojewski, Tschechow und Nabokov beherrscht der Koch perfekt. Immer auf der Flucht vor den Behörden, denn das Brennmaterial muss illegal aus Bibliotheken und Antiquariaten beschafft werden. Entgrenzter Genuss-Exzess und barbarische Kulturvergessenheit – so perfide Sorokins zynische Dystopie wirkt, denkt sie die vergoldeten Steaks in Dubai von heute nur ein bisschen weiter.
Vladimir Sorokin, »Manaraga – Tagebuch eines Meisterkochs«, Kiepenheuer & Witsch, 256 Seiten, 20 Euro
Es ist angerichtet
Als erste Professorin an der Düsseldorfer Kunstakademie wird Catharina Treu wiederentdeckt
1771 stand Catharina Treu ihrem Bruder Johann Nicolas Modell. Aufmerksam, etwas herb wirkt die talentierte Hofmalerin von Kurfürst Carl Theodor auf diesem opulenten Bild. Eine Mischung aus Porträt und Stillleben, auf dem sie die appetitlich angerichteten Früchte unter ihren rechten Hand später selbst beisteuert. Meisterhafte Miniaturen von einer Frau, deren Lebenswerk lange Zeit in Vergessenheit geriet – obwohl Treu die erste Professorin an der Düsseldorfer Kunstakademie war. Sehr akademisch hat sich ihr nun Gabriele M. Thölken genähert. Aber immerhin: Ihr Buch versammelt alle heute noch bekannten Werke und zeichnet einen ungewöhnlichen Lebensweg zur Zeit des Barock – umgeben von Männern.
Gabriele M. Thölken, »Catharina Treu. Studien zu Leben und Werk«, Verlag regionalkultur, 512 Seiten, 39,80 Euro