TEXT: STEFANIE STADEL
»Attacke« – mit Gewehrkolben und Tomahawk gehen sie aufeinander los. Der Gute – als energischer Blondschopf – im Kampf gegen das Böse in Gestalt einer ganzen Horde herbeistürmender Rothäute; mit dem markanten Haarkamm auf dem Kopf sind sie unschwer als Irokesen zu erkennen. Das auf Riesenformat gebrachte Comic-Klischee startet die Bonner Ausstellung. Frei nach James Fenimore Coopers »Lederstrumpf«-Erzählungen, die das Image der Irokesen als hinterhältige Mord- und Martergesellen seit dem 19. Jahrhundert prägten.
Aber was steckt dahinter? Lederstrumpfs Todfeinde gehören sechs Völkern an, die im heutigen Nordosten der USA und in den angrenzenden Gebieten Kanadas lebten, sich vor einigen hundert Jahren zur berühmten Liga zusammentaten und von da an wesentlichen Einfluss auf die koloniale Geschichte Nordamerikas ausübten. Bis heute bestimmen sie unsere Vorstellung vom Indianer: Mohawk, Oneida, Onondaga, Cayuga und Seneca, die Tuscarora kamen später dazu. Alle zusammen wurden bekannt als »Irokesen«, auch wenn sie selbst diesen wahrscheinlich von ihren Feinden erfundenen Namen nie benutzten. Verständlich – wer nennt sich schon gerne »Klapperschlange«?
LEUTE DES LANGHAUSES
Freundlicher und auch kultivierter klingt die eigene Bezeichnung als »Leute des Langhauses«. Zumal sich auf eben jene Langhäuser die Zivilisation der »Haudenosaunee« gründete. Sie lebten dort als Großfamilien unter einem Dach zusammen und gehorchten dem Regiment älterer Frauen, die auch den Häuptling bestimmten – ein System, auf das sich später die Frauenbewegung berufen sollte. Das Bild eines solchen Langhauses beschreibt im übertragenen Sinne ebenso das Selbstverständnis der irokesischen Gruppen: Eine jede sah sich auf ihrem eigenen Platz in dem Gebäude, vereint unter dem gemeinsamen »Gesetz des Friedens«. Immer wieder ist das föderale Struktur des Bundes als Vorbild für die amerikanische Verfassung und Demokratie im Gespräch. Dabei übersieht man allerdings oft die wesentlichen Unterschiede der Systeme – das irokesische beruhte auf Verwandtschaft, die Ämter waren erblich, nicht durch Wahl bestimmt.
Wenn sich die Bundeskunsthalle nun in ihrer bemerkenswerten Ausstellung auf die »Spuren der Irokesen« begibt, so kommen auch die widerstrebenden Eigenschaften immer wieder zur Sprache – seien sie durch historische Wahrheiten belegt oder im Klischee begründet. Als brutale Kämpfer, frühe Demokraten, begnadete Diplomaten, schlaue Taktierer und traurige Verlierer des Fortschritts lernt man die Irokesen kennen. Irgendwo zwischen dem »Philosophen des Waldes« und einem »erbarmungslosen Krieger« sieht sie denn auch Kuratorin Sylvia Kasprycki in der Wahrnehmung von außen angesiedelt. Wie kommt es dazu? Und was ist dran? Nach dem Ausstellungsrundgang wird man etwas klarer sehen.
Dazu sind in Bonn über 500 Exponate versammelt, je zu einem Drittel aus den USA, aus Kanada und aus Europa. Dazwischen auch immer wieder Beispiele irokesischer Gegenwartskunst. Ein ethnologisches Großprojekt, das schon vor den Museumstüren Aufmerksamkeit weckt mit der imposanten Rekonstruktion eines irokesischen Langhauses, gebaut aus 1.600 jungen Ahornbäumen, zusammengehalten durch 14.000 Meter Seil – Nägel und Schrauben kannten die Irokesen nicht. Und an Stelle von Mauersteinen und Dachziegeln benutzten sie Fichtenrinde; um die 900 Quadratmeter davon wurden in Bonn verbaut.
Im Inneren reihen sich entlang eines breiten Gangs mit Feuerstellen die Schlaf- und Aufenthaltsplätze. Oben hausten wohl Frauen und Kinder, im Parterre die Männer. Nach der Heirat hatten sie dem Clan der Frau zu folgen und mussten in dessen Langhaus ziehen. Auch für die Erledigung bestimmter Aufgaben gab es klare Regeln: Während sich die Frauen um Anbau und Ernte der »drei Schwestern« – Mais, Bohnen, Kürbis – kümmerten, trugen die männlichen Familienmitglieder durch Jagd und Fischfang zum Lebensunterhalt bei.
DIE GRÜNDUNG DES BUNDES
Von den »Grundlagen der Existenz«, die ohne Rad und Schrift auskam, zeugen zu Beginn des Bonner Parcours allerlei Kleinteile – Pfeil und Bogen, Korbgeflecht, Holzschüsseln, Kanumodelle, Wiegen, Pfeifen, Tragbänder. Im weiteren Verlauf des wissenschaftlich fundierten, ziemlich lehrreichen, doch eher trockenen Ausstellungsgeschehens folgt man den Irokesen durch die Jahrhunderte. Erfährt etwa, dass das Bevölkerungswachstum durch den verstärkten Maisanbau zu aufreibenden »Bruderkriegen« führte, die man durch den Zusammenschluss in der Liga zu lösen suchte.
Wann genau der Bund geschlossen wurde, ist fraglich, doch nimmt die Ausstellung eine Gründung im 15. Jahrhundert an und nennt die Namen charismatischer Führer mit übernatürlichen Kontakten, denen es, der Überlieferung nach, gelang, die Einigung der verfeindeten fünf Nationen herbeizuführen. Auch die benachbarten Völker wurden demnach eingeladen, unter dem »Baum des Friedens« Platz zu nehmen und »das Kriegsbeil« zu begraben.
Was nach Edelmut und Friedfertigkeit klingt, brachte auch Unterdrückung mit sich. Denn mochte ein Volk dieser Einladung nicht folgen, wurde es oft Ziel von Angriffen der übermächtigen Irokesen-Liga. Ganze Gruppen löschte sie aus. Wer Glück in diesem Unglück hatte, wurde »adoptiert« und nahm bei den Siegern die Position eines verstorbenen Mitglieds der Gemeinschaft ein. Manch ein Krieg wurde offenbar allein mit dem Ziel geführt, Lücken in der eigenen Gruppe durch Gefangene zu schließen.
Solche Praktiken, aber nicht zuletzt auch die kriegerische Stärke der Liga, mit der bald auch die Kolonisten zu kämpfen hatten, mögen Schuld daran sein, dass sich die Kunde von Wildheit und Grausamkeit der Irokesen so wirkungsvoll verbreitete und festsetzte. Kurz nachdem die Weißen im 16. Jahrhundert erste Bekanntschaften mit den nordamerikanischen Ureinwohnern gemacht hatten, gelangten schreckliche Botschaften ins alte Europa – von Kannibalismus war die Rede, von der Marter am Pfahl, von Mord und Totschlag mit Messer, Tomahawk oder der berüchtigten Kugelkopfkeule – auch dafür gibt es in Bonn Beispiele.
VIER KÖNIGE AUS KANADA
Nicht nur den Eroberern tat sich damals in Nordamerika eine »neue Welt« auf. Auch für die Ureinwohner brachte das Eintreffen der Fremden tiefgreifende Veränderungen – die meisten zum Schlechten. Man erfährt in der Bundekunsthalle vom Pelzhandel und seinen misslichen Folgen für die Irokesen. Ebenso wirkte sich die christliche Mission ungünstig auf das vormals so gut funktionierende Gefüge aus. Die Schau legt all das sehr genau auseinander. Erklärt auch, mit wem und gegen wen die Irokesen Allianzen schlossen – Niederländer, Engländer, Franzosen.
Gar nicht wie Wilde sondern ganz als Staatsmänner treten uns jene »Vier Könige aus Kanada« auf den Ganzfiguren-Porträts von John Verelst entgegen. In diplomatischer Mission waren sie 1710 an den englischen Hof gereist, um Queen Anne ihren Wunsch nach einer britischen Eroberung des französischen Kanada vorzutragen.
Bis dahin hatten sich die Irokesen zwischen den rivalisierenden Kolonialmächten geschickt behaupten und auf einer recht günsti-gen Position halten können. Mit dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg sollte sich das aber ändern. Zwei Stämme aus dem Bund schlossen sich den amerikanischen Patrioten an, die übrigen vier den Engländern, mit deren Niederlage für die Irokesen der Abstieg seinen Lauf nahm. Ihrer einstigen Gebiete im Staate New York beraubt, sahen sie sich bald in viel kleinere Reservationen zurück-gedrängt.
Einige von ihnen konnten sich nun noch als angeblich schwindelfreie Erbauer der Skylines US-amerikanischer Metropolen hervortun – wer kennt sie nicht, die Fotos scheinbar furchtloser Stahlgerüstbauer, hoch über den Dächern von New York? Den meisten Irokesen blieb jedoch nicht viel anderes übrig als die Fertigung von Souvenirs und ihren Verkauf an Touristen – wie sie sich en masse etwa an den Niagarafällen tummelten. Auch davon erzählt die Ausstellung in einiger Ausführlichkeit.
Andere versuchten, dem traurigen Dasein in den Reservaten zu entfliehen, indem sie sich als Schausteller verdingten – in Wild-West-Shows umhertingelten und mit imposanten Federhauben auf dem Kopf am Klischee des Roten Mannes mitwirkten.
Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, bis 4. August 2013; Tel. 0228/9171 200. www.bundeskunsthalle.de