Erst 2019 haben Lisa und Timo Gelzhäuser den Forstbetrieb ihrer Eltern im sauerländischen Kierspe übernommen – in vierter Generation. Kurz darauf zerstörte die Borkenkäferplage die Hälfte ihres Fichtenbestands. Aus dem Kahlschlag heraus hat das Geschwisterpaar nun eine Geschäftsidee entwickelt: Es vertreibt jetzt Tiny Houses – aus Borkenkäfer-Holz.
»Ich bin mit riesigen Bäumen in einem märchenhaften Wald aufgewachsen – der Anblick jetzt ist immer noch so unwirklich.« Lisa Gelzhäuser blickt auf den kahlen Hang ganz in der Nähe ihres Wohnhauses im westlichen Sauerland und erklärt: »Eigentlich entnimmt man nur einmal im Jahr ausgewähltes Holz aus einem Wald.« Doch stattdessen ordneten sie den Kahlschlag an – die einst bewaldete Fläche ist nun öd und leer.
2019 hatte Lisa Gelzhäuser mit ihrem Bruder Timo den elterlichen Forstbetrieb übernommen – in vierter Generation. Im selben Jahr, in dem auch der große Borkenkäfer-Befall in der Region begann. Der einzige Weg, ihn einzudämmen, ist, die befallenen Bäume großflächig zu fällen und möglichst schnell aus dem Wald zu bringen. Die Hälfte ihrer Fichten gingen so bereits verloren. Da aber waren sie nicht die einzigen. Die Lager waren überall voll, das Überangebot an Holz sorgte dafür, dass das Geschwisterpaar mit der Bezahlung der Händler nicht mal mehr die Kosten für das Fällen decken konnte.
Ihre Idee: Ein kleines Haus aus Blockbohlen, die sie in ihrer Werkstatt selbst zurecht sägen, direkt an die Endkunden vermarkten und so höhere Erlöse erzielen. »Wir sind mit dem Entwurf dem Trend gefolgt, aus Seecontainern kleine Häuschen zu machen«, erklärt Lisa Gelzhäuser. So könnten die Tiny Houses auf einem Hänger angeliefert werden – das hat aber noch kein Kunde in Anspruch genommen, sie bauen die Häuser selbst auf. Wichtig war ihnen die Modulbauweise, es gibt Varianten in mehreren Größen, die Häuser sollten stapelbar, Gründächer und eine Dachterrasse möglich sein. Alles sehr reduziert, ökologisch und regional: Das Holz wird in einer befreundeten Schreinerei getrocknet. Um die nun verbesserten Eckverbinder selbst sägen zu können, haben die Geschwister gerade einen gebrauchten Roboter angeschafft. Die Fenster stammen aus der Region, selbst die Eisenkleinteile werden keinen Kilometer entfernt gefertigt.
Natürlich sollte möglichst viel Holz für ihre Tiny Houses verwendet werden – 72 Millimeter Bohlen gibt es sonst kaum als Baumaterial. Ihre Häuschen bestehen ausschließlich aus sogenanntem Kalamitätsholz, in dem Fall also aus den vom Borkenkäfer befallenen Beständen. Das ist genauso stabil wie anderes Holz und kann im Prinzip auch für alles verwendet werden. Der Borkenkäfer greift nur die Rinde an, nur manchmal verfärbt sich das Holz leicht. Doch gerade bei einem Überangebot ist Borkenkäferholz nicht besonders gefragt.
Noch werden ihre Tiny Houses als Gartenlauben oder Saunen verwendet, gerade aber sind sie in ein Forschungsprojekt des Umweltministeriums NRW gestartet, in dem sie gemeinsam mit der Softwarefirma Camalot aus Iserlohn und der TU Dortmund ein bewohnbares Blockbohlenhaus entwickeln. Ein Online-Konfigurator soll es ermöglichen, spielerisch einen Grundriss nach eigenen Wünschen zu gestalten – daraus würde dann der Preis berechnet und die Zeichnung direkt für die Bauvoranfrage genutzt. »Wir möchten damit den Holzbau an sich fördern – Holz ist ein ökologischer Baustoff, weil es CO2 aufnimmt und speichert, ganz anders als zum Beispiel Beton«, so Gelzhäuser. Das Ziel: die Nachverdichtung von Städten, etwa durch aufgestockte Häuser mit ihren »Tinys« auf dem Dach.
Geplant ist, dass selbst die Fassaden individuell gestaltet werden können. Nicht zuletzt, um die Entwürfe an die Gestaltungsrichtlinien der jeweiligen Kommune anpassen zu können. Am Ende des Projektes in einem Jahr soll es einen Prototypen geben – den Feriengäste dann zur Probe bewohnen können.
Trotz all der guten Ideen – optimistisch blickt Lisa Gelzhäuser nicht in die Zukunft: »Wir haben jetzt 40 bis 50 Jahre keine Einnahmequelle mehr aus dem Wald, wir müssen nur Geld ausgeben für Neuanpflanzungen.« Und da sind sich die Fachleute noch nicht einmal einig, was genau angepflanzt werden sollte. »Angesichts des Klimawandels mit heißen Sommern, aber noch immer kalten Wintern legt sich niemand fest, was das Beste ist. Angeregt wird ein Mischwald aus mindestens fünf verschiedenen Baumarten – die Fichte jedenfalls wird nicht mehr angepflanzt, sie wird sich selber verjüngen.« Inzwischen geht der Borkenkäfer aber auch schon an vermeintlich robuste Douglasien, »aggressiv und hungrig« sei er, sagt Lisa Gelzhäuser. Und so lange es nicht einige Jahre lang wieder kälter ist und mehr regnet, so dass die Bäume ausreichend Harz produzieren können, um sich selbst zu wehren, wird sich das auch nicht ändern. »Der Klimawandel herrscht nicht irgendwo in der Südsee, sondern in Deutschland, direkt vor der Haustür«, stellt Lisa Gelzhäuser fest. »Man ist total machtlos, es ist sehr emotional für viele Waldbauern, wie für meinen Vater. Er hat 40 Jahre den Betrieb geleitet, jeden Baum sorgsam ausgewählt und mit Manneskraft gefällt.«
Momentan ist der Preis für Holz auf einem außergewöhnlichen Hoch, Baumaterial ist Mangelware, selbst Borkenkäferholz verkauft sich hervorragend. Trotzdem: »Wir rechnen damit, dass der Holzpreis wieder abflacht«, so Lisa Gelzhäuser, »langfristig ist die Direktvermarktung für uns lukrativer«. Wenn irgendwann überhaupt noch Holz da ist. Dessen sind sich die Gelzhäusers bewusst: »Ganz am Anfang hatten wir noch Hoffnung, dass wir den Borkenkäfer in den Griff kriegen, aber eigentlich haben wir keine Chance mehr. Wir rechnen damit, dass die anderen 50 Prozent der Fichten in den nächsten anderthalb Jahren auch fallen müssen.«