TEXT: ANDREAS WILINK
Der Frieden ist die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. Im Februar 1945 treffen sich auf der Krim die siegermächtigen Winston Churchill, Franklin D. Roosevelt und Josef Stalin. Der britische Gast schätzt Champagner, der Mann im Rollstuhl sieht gern Filme, der Gastgeber im Marschallrang erweist sich u.a. als spezieller Hundefreund und Mann von herber Polit-Poesie. Man kartet in Jalta die neue Weltordnung aus, markiert Einflusssphären, summiert Schadensersatzansprüche, plant die Teilung bis hin zur Zerstückelung Deutschlands. Wesentliches betrifft die Zukunft Polens – westliche Demokratie oder Satellit Moskaus –, das gegen Interessen auf dem Balkan und im Mittelmeer verrechnet wird. Im Auftrag des Düsseldorfer Schauspielhauses hat der Schwede Lucas Svensson für seinen Landsmann Staffan Holm, basierend auf Protokollen, aber frei fantasierend, den sehr langen Polit-Poker geschrieben: zwei Akte, die außer Façon geraten. Bei der Lektüre des Stücks fallen Selbstgefallen und Schwatzhaftigkeit auf, bei einigen ironischen Schärfen und sarkastischen Schleifen. Wobei das Bühnen-Trio – drei fröhliche Zecher – weniger zur Dürrenmatt-Groteske neigt, als zu anglo-realistischer Präsenz.
In einem einschüchternd hohen, steingrauen Saal (Bente Lykke Møller) ist bei Holm das Männerding Krieg – oder das, was davon als papierraschelnde Materialschlacht bleibt – eine weibliche Angelegenheit. Wodurch die historische Aufstellung sich erst recht zur theatralischen Aktion und Fiktion erklärt. Imogen Kogge, Karin Pfammatter und Stina Ekblad verleugnen nicht ihr Geschlecht. In grauen Kostümen, mit hochgestecktem Haar und ohne Maske sind sie: drei Große Diktatorinnen, die aber mit der wie ein Requisit von Chaplins Hinkel daliegenden Erdkugel kaum spielen.
Wie bei jedem richtigen Herrn in einer Komödie stehen Knechte zur Verfügung. Einer heißt Smith, der andere Harry, der dritte Lavrentij, was für unsere Ohren nicht nach Hans oder Otto klingt, aber von der Funktion her Ähnliches bedeutet. Auch die Stichwortgeber und Laufburschen der Big Three haben eine Menge zu reden, ebenfalls über Polens Schicksal oder über die Sexgewohnheiten der englischen Frau und gehören in der Uraufführung ebenfalls dem schwachen Geschlecht an.
Churchill, eine dramatische Persönlichkeit, spricht flüssig von Demokratie, was mit seinem Alkoholkonsum zu tun haben mag. Sekretär Smith hört kaum zu, aber attestiert Britanniens Leader »vernichtend konsequent« zu sein. Imogen Kogge – stabil, etwas plustrig und die Backen blasend – lässt als hüftbetonte Matrone am ehesten das Vorbild durchscheinen, spielt munter drauf los und steht kräftig unter Dampf, als hätte sie Thomas Bernhards Figurenklang in ihrem Resonanzraum archiviert.
Roosevelt, schon des Todes gewärtig, vertraut auf »die Dynamik des Augenblicks«, bleibt allgemein und scheint selten bei der Sache, mit Ausnahme seiner Vision von den Vereinten Nationen. Ein Zivilist eben, anders als sein bombiger Adlatus, aber listig und mit den Schwächen der Krankheit operierend. Karin Pfammatter, ein bisschen Dame Kobold, mischt ihm eine zarte, aber irgendwie auch zähe Substanz unter. Stalin, bei durchschimmernder Paranoia und Lust an der Psychofolter, ist Herr des Geschehens, erhält ideologische Nachhilfe von Sekretär Lavrentij, den er arg kujoniert, wird hofiert von Roosevelt und lässt Churchill jovial auflaufen. Stina Ekblads unergründliches Sphinx- und Pharaonen-Antlitz erfüllt sich schönstens im Flirt mit einem Totenkopf.
Die Regie folgt treu und brav der Vorlage – mehr lässt sich nicht sagen. Wohl aber fragen: Was sollen der Kleider- und Geschlechtertausch? Außer, dass die drei Kessen es können: Kanzler können bzw. Premierminister, Präsident, Sowjetführer – und Hauptrolle. Frau taugt zur Machtpolitik ebenso maskulin, professionell, heuchlerisch und skrupellos. Mehr Gender-Theorie steht nicht zur Debatte. Im großen Mantel der Geschichte, dessen Muster zu Recht den gerechten Krieg darstellt, gibt es Falten mit unsauberen Stellen. Die Sieger gehen noch kurz vor der deutschen Kapitulation bedenkenlos über Leichen, kalkulieren Millionen Opfer, Flüchtlinge, Kriegs- und zivile Bombardement-Tote. Bei Svensson hat Joseph Goebbels das letzte Wort, bei Staffan Holm bekommt es Marlene Dietrich, deren »Lili Marleen« der US-Adjutant anstimmt, bevor der englische Smith sich ebenfalls mit Pathos, Sentimentalität und abgesoffenen Idealen aus der Welt schafft und aus der Geschichte verabschiedet. Moralsatter Applaus.
Der Sündenfall bei diesem Stück, das Friedrich Schiller nach der französischen Sittenkomödie des Louis-Benoît Picard von 1803 bearbeitete, besteht darin, Rabatz zu machen, auf den Putz zu hauen und gefallsüchtig mit Kunststückchen zu jonglieren, anstatt zu sezieren und zu analysieren. Wenn man nicht aufpasst, erscheint das Theater als opportunistische Anstalt – mindestens so sehr wie die Gesellschaft um die Herren Narbonne, Selicour, La Roche und Firmin. »Der Parasit« Selicour hat sich ins Vertrauen des neuen Ministers Narbonne geschlichen, scharwenzelt, redet nach oben hin schön und tritt nach unten, wo es nicht drauf ankommt, kann nichts und leistet wenig, hat weder Talent noch Tugend, verbirgt dies aber mit Geschick, so dass er unentbehrlich scheint. Ein Mémoire von anderer Hand gibt er als seines aus, eine Vers-Romanze für des Ministers Tochter Charlotte behauptet er, geschrieben zu haben. Und weil Erfolg in den Chefetagen oft über das Boudoir der Damen geht, spannt er Madame Belmont, Mutter des Ministers, für seine Zwecke ein. Der Heuchler und Schmeichler Selicour ist bei Erpulat, der die Saison des Düsseldorfer Schauspiels im Kleinen Haus eröffnete, wiederum Düsseldorfer, zumindest der Ausstattung und des Konsumverhaltens nach. Andererseits, eine zur Schau gestellte Prada-Tüte zettelt noch keine Wertedebatte an.
Gut drauf im Disco-Rhythmus zur Klassik-Light-Musik, hält Selicour wendig und windig seine Extremitäten elastisch. Und wie ein echter Guttenberg ist er heimlicher Rock’n’Roller. Der Parasit und seine Gastorganismen sind Aktentaschen-, Steppjacken- und beigefarbige Beinkleid-Träger, die Mobbing vermutlich schon aus der Stellenausschreibung kennen und vertraut sind mit der Generation Praktikum. Nur Narbonne (Moritz Führmann) bringt Farbe ins Spiel als Freizeit-Attrappe, bunt ausstaffiert wie für ein Ferien-Weekend in Westerland. Die versammelte Angestelltenkultur gerät außer Atem, ohne gleich in existentiellen Schluckauf zu verfallen. Carl Schmitts »Korridore der Macht«, die Florian Jahr als Selicour beflissen wie in Paranthese zitiert, sehen auf Kathrin Froschs Bühne arg behelfsmäßig aus: gezimmert aus Pressspan, möbliert in Rank Xerox- und Blattpflanzen-Dekor und ästhetisch unterhalb ministeriellen Formats. Mit dem Boulevard-Realismus, der sich gelegentlich eine schräge Geste leistet und stumme erotische Zwischenspiele zur bürgerlichen Demontage nach Dienstschluss einbaut, ist wenig Staatstheater und noch weniger Anarchie zu machen. Aber quietsch-fröhliche Laune. Eine Gefälligkeit für das Haus am Gründgens-Platz in intimer Nähe zur Kö, das einen Intendanten und mehr denn je seine Identität sucht. Die adrette Form des »socialising«, für die Selicour steht, auch wenn er auffliegt, taumelt und am Ende nahezu hingerichtet am Boden liegt, gefällt von der Spielbox-Kulisse wie von der Guillotine, passt auch auf die Aufführung.
Zweimal erfolgt: moralsatter Applaus.
www.duesseldorfer-schauspielhaus.de