Das »Interim« – es gehört längst zum Theater wie die Pubertät zum Erwachsenwerden, und aus der findet bekanntlich auch nicht jeder heraus. Theater hausen in »Interims-Spielstätten«, werden von »Interims-Intendanten« mit »Interims-Spielplänen« regiert. »Lost in Transition« – das ist auch das Tanztheater Wuppertal seit dem Tod von Pina Bausch 2009. Die ersten zwei Interims aus dem Ensemble (Dominique Mercy und Robert Sturm) schmissen hin. Es sprang ein weiterer »Interimi« aus der Kompanie (Lutz Förster) ein. Dann: ja! Man hatte eine neue Doppelspitze gefunden! Nur währte die so kurz wie kein Interim zuvor: Gerade mal ein Jahr schafften es Geschäftsführer Dirk Hesse und die künstlerische Leiterin Adolphe Binder, ehe sie sich skandalös zerlegten. Binder wurde fristlos entlassen, klagt nun beim Arbeitsgericht. Das Schauerstück ist noch längst nicht zu Ende getanzt und es gilt noch viel aufzuarbeiten im Bergischen Land.
Also jetzt lieber wieder ein Interim, und die Erleichterung ist groß, dass es angesichts dieser Historie so exquisit besetzt werden konnte: Neben dem Belgier Roger Christmann als Geschäftsführer genießt die neue künstlerische Provisoriums-Prinzipalin Bettina Wagner-Bergelt ein national wie international hervorragendes Renommee. 27 Jahre lang arbeitete sie als Dramaturgin und stellvertretende Direktorin beim Bayerischen Staatsballett, wo unter ihrer Führung nicht nur die Zuchtblüten der Klassik, sondern auch so manch‘ stacheliges Pflänzchen aus Tanz-Geschichte und Tanz-Gegenwart gepflegt wurde. Diese Liberalität brachte 2015 den Münchnern die Adelung ein, als eine von wenigen auserlesenen Kompanien ein Werk von Pina Bausch nachtanzen zu dürfen. Das macht Wagner-Bergelt zwar nicht gleich zur Tanztheater-Expertin, aber vielleicht gerade wegen ihrer mondän-geschulten Außenperspektive zur passenden Pubertätshelferin, um sich von der Übermutter zu lösen.
Diesmal wird alles besser! Das verspricht zumindest Wuppertals Dezernent Johannes Slawig, dem bei der »Causa Binder« Tatenlosigkeit vorgeworfen wurde. Der Beirat soll beim Transformationsprozess stärker eingebunden werden, und anders als bei Adolphe Binder ist der Geschäftsführer nun nicht mehr der Vorgesetzte der künstlerischen Leiterin, sondern Geld und Kunst sind gleichrangig. Für zwei Jahre wurde Bettina Wagner-Bergelt der wackeligste, wenngleich immer noch goldene Thron der Tanzszene angedient. Ein »Interim« – ob es das letzte für das Tanztheater ist?