TEXT: ROBIN TELLER
Die Fassade blättert von den Häuserwänden. Das Grau des Asphalts mischt sich mit rot-goldenem Kitsch. Satellitenantennen kündigen fremd klingende Kanäle an. Honigklebrige Süßwaren buhlen im Schaufenster um Kunden. Der Boden glänzt noch vom letzten Regenschauer, doch alle sind schon wieder vor ihren Ladentüren: Bäcker, Metzger, Konditor, Friseur, Schneider, Juwelier, Brautmodenverkäufer. Es wird herzlich gegrüßt, gefeilscht, gelacht. Die Keupstraße im urbanen melting pot Mülheim strotzt von Leben.
Umso bitterer der Nachgeschmack des Anschlags, der diesen vitalen Lebensraum mutwillig zerstören sollte und einen Riss durch Gebäude und Biografien zog. Am 9. Juni 2004 wurden 22 Menschen zum Teil schwer verletzt, mehrere Ladenlokale erheblich beschädigt. Erst 2011 stellte sich heraus, dass die Gruppierung »Nationalsozialistischer Untergrund« neben einer schrecklichen Mordserie auch für die Bombe in der Keupstraße verantwortlich war. Während der Gerichtsprozess in München angelaufen ist, sind die Anwohner noch immer bemüht, ihre seelischen Wunden heilen zu lassen. Das gelingt nur schwerlich, denn sieben Jahre lang gingen die Behörden von einer internen Rivalität im türkischen
Milieu als Ursache der Tat aus. Nur wenige wollten den Betroffenen Glauben schenken; mittlerweile wurden gravierende Ermittlungsfehler eingeräumt. Fremdenfeindliche Motive wurden kategorisch ausgeschlossen.
»Wir haben euch von Opfern zu Tätern gemacht«, bestätigte unlängst Kölns Oberbürgermeister Jürgen Roters. Wie begegnet man den sensiblen Empfindungen? Wie lässt sich Vertrauen wiederherstellen, wo keines mehr ist? Wie überträgt man die nachblutende Realität ins ästhetische Umfeld des Theaters? Zunächst, indem man, wie Schauspiel-Intendant Stefan Bachmann bereits bei seinem Antritt sagte, intensive Recherche betreibt.
Seit über einem Jahr gastiert ein ungewöhnlicher Mann – Ende dreißig, türkisch-armenisch-jüdischer Abstammung, Ex-Türsteher, Nestroy-Theaterpreisträger, Nominierter des Deutschen Fernsehpreises, Buchautor – regelmäßig in der Keupstraße. Er geht auf die Menschen zu, sammelt Geschichten, lauscht aufmerksam, stellt direkte Fragen. Regisseur Nuran David Calis …
Lesen Sie weiter in der gedruckten Ausgabe von K.WEST!
»Die Lücke – Ein Stück Keupstraße«, Schauspiel Köln, Depot 2; Uraufführung: 7. Juni 2014; www.schauspielkoeln.de
Das Festival »Birlikte – Zusammenstehen«, 7. bis 9. Juni 2014; Pfingstsonntag: ein ganztägiges Kunst- und Kulturfest mit mehr als 30 Bühnen; am 9. Juni tagt der Integrationsausschuss des Landtags NRW öffentlich; prominente Gäste laden zur Podiumsdiskussion: »NSU und die Folgen – Was müssen wir lernen?«; anschließend findet eine Kundgebung auf dem Freigelände an der Schanzenstraße statt; www.birlikte.info