Text: Volker K. Belghaus
Ein Regalsystem ist nun wirklich keine Marktlücke. Man muss schon mit etwas Raffiniertem aufwarten, um sich gegen die Konkurrenz durchzusetzen. Allein: Das Feld ist weit zwischen schwedischem Simpel-Design und edel-helvetischer Führungsetagen-Metallmöblierung. Dass man auf diesem Feld nicht alleine ist, bekamen auch Miriam Franken und Friedrich Gerdes in einer riesigen Halle in Frankfurt zu spüren, in der die Möbel der Mitbewerber für den »German Design Award« gelagert wurden. Da kam man sich dann doch eher klein vor, erzählt Gerdes heute. Es war jedenfalls die richtige Entscheidung, an diesem Wettbewerb teilzunehmen – am Ende war das Paar mit seinem Regalsystem »Kontur« Sieger des »German Design Award 2014«.
Kennengelernt haben sich Franken und Gerdes während ihrer Tischlerausbildung in Berlin, auf die ein gemeinsames Jahr in Guatemala folgte, wo sie Kindern und Jugendlichen den Umgang mit Holz nahebrachten. »Dort haben wir auch gelernt, mit einfachen Werkzeugen in kleinen Werkstätten zu arbeiten«, sagt Gerdes. Zurück in Deutschland ging es über Berlin schließlich zum Produktdesign-Studium an die FH Münster, wo sie im vergangenen Jahr ihren Abschluss machten und danach ihr eigenes Designstudio »fritz und Franken« gründeten. Erstes und einziges Produkt war ihre Abschlussarbeit »Kontur«; ein Regalsystem, das sich modular aus einzelnen, rechteckigen Boxen aufbaut. Das besondere an »Kontur« ist der Verbindungsmechanismus, der ohne Schrauben auskommt. Die einzelnen Boxen werden durch jeweils zwei Kufen verbunden, die den Rand der Nachbar-Box umgreifen und gleichzeitig als stabile Seiten- und Höhenarretierung sowie als Standfüße dienen. Durch diese Technik kann »Kontur« vertikal und horizontal genutzt werden – was bei der späteren Regalwand für größtmögliche Flexibilität und visuelle Abwechslung sorgt. Die dünnwandigen Boxen beziehen sich von der Größe zwar auf Aktenordner mit Standard-Rückenbreite, sind aber alles andere als bürokratenlangweilig. Das liegt auch an ihrer Farbpalette, die matt-bunt aufeinander abgestimmt ist: hellgrau, dunkelgrau, zwei Blautöne, hellgrün und weiß. Zwar gibt es auch die Möglichkeit, weitere Farben auszuwählen, aber eine rote oder schwarze Box wirken in der direkten Umgebung zu den leichten Standardfarben etwas deplatziert.
Hergestellt werden die Boxen aus sechs Millimeter dicken HPL-Kompaktplatten – ein unter Hochdruck erzeugtes Laminat, das zu 70 Prozent aus Papier besteht, mit Harz verleimt und schließlich mit einer Dekorschicht überzogen wird. Dadurch sind die Boxen äußerst schlagfest und feuchtigkeitsresistent und nicht nur im Büro, sondern auch im Kinderzimmer einsetzbar. Ein Unternehmen im westfälischen Beckum übernimmt die Produktion der Module. Miriam Franken und Friedrich Gerdes ruhen sich aber nicht auf ihrem Erfolg aus, sondern schärfen ihre »Kontur« für die Zukunft. So ist eine Erweiterung der Farbpalette angedacht und eine Ergänzung durch Türen mit minimalistischen Scharnieren, die die klare Linienführung der Boxen nicht beeinträchtigen.
Das soll auch für die Schraubverbindungen gelten, an denen die beiden gerade arbeiten. Schrauben? Jetzt doch? »Wir verschicken momentan eine Menge Luft« bestätigt Gerdes das Vorhaben, »weil wir die Boxen fertig montiert versenden«. Die Variante mit den Schrauben soll es ermöglichen, »Kontur« als flaches Paket zu verschicken, auf das der Kunde die Montage einfach und schnell selbst übernehmen möge. Die Schrauben werden dabei bewusst sichtbar bleiben und den technischen Charakter betonen, sagt Gerdes. Das Sortiment soll generell erweitert werden. Franken und Gerdes arbeiten gerade an einer Kombination aus Tisch und Bank, bei der das Gestell aus Massivholz angefertigt sein wird, die Tischplatte und Bankfläche aber aus HPL bestehen. Auch ein Kinderzimmer-Möbel aus HPL-Würfeln liegt auf dem Schreibtisch. Und nebenbei experimentiert das Designer-Paar leidenschaftlich mit unterschiedlichsten Materialien. HPL ist nicht alles, der organische Verbundstoff Corian ist ebenso fällig wie Beton oder Gips für Tisch-Accessoires – nicht umsonst arbeitet Gerdes auch als Werkstattleiter der Gips-Keramikwerkstatt in seinem ehemaligen Fachbereich an der FH Münster. Abgesehen davon plant das Paar, sich früher oder später als reines Gestaltungsbüro zu etablieren, mit Fachbetrieben zu kooperieren und so die Produktion und den Vertrieb ihrer Ideen und Entwürfe auszulagern.
Der Showroom von »fritz und Franken« befindet sich in einer ehemaligen Metzgerei in der Ferdinandstraße im Münsteraner Kreuzviertel. www.fritzundfranken.de