So also hören sie sich an, die wiederkäuenden Vierbeiner des Münsterlandes. Saftiges Gras scheint es in Nordwalde zu geben. Hörbar genüsslich wird hier jedenfalls auf etwas herumgekaut. Lustig, ja, so klingt eine Kuh ganz nah. Ist das Kunst? Eicke Riggers und Mirijam Streibl machen sie daraus und treiben zugleich ein Stück Wissenschaft voran, die sich Soundscape-Forschung nennt und Klanglandschaften untersuchen will.
102 Stunden Audiomaterial haben der Designer und die Soundforscherin aus Münster mit dem Mikrofon einfangen lassen. Fünf Monate war der Essener Musiker und »Field Recordist« Nils Mosh dafür in Ascheberg, Nordwalde, Everswinkel und Heiden unterwegs, hat Klänge, Geräusche und Töne der Orte, Menschen, Unternehmen, Tiere und Natur dokumentiert. 102 Stunden, in denen bei Ascheberg plötzlich das Dauerrauschen der A1 durch eine Sperrung verstummt. In denen die Webstühle von Everswinkel klakkern, die Maschinen bei der Firma Trendelkamp in Nordwalde Töne von sich geben und die Windräder in Heiden rotieren. »Kein Ort auf der Welt klingt gleich – so versuchen wir herauszufinden, wie genau sich die Heimat der Menschen hier anhört«, sagt die promovierte Musikwissenschaftlerin und Soundkünstlerin Mirijam Streibl. Als »Tonwelten«-Kuratorin will sie für das genaue (Hin)hören sensibilisieren. Denn dadurch entstünde auch eine engere Verbundenheit zu dem Ort, an dem die Töne aufgenommen wurden. Und an dem wir leben.
Wissenschaftlicher Hintergrund ist die »Soundscape Ecology«, was so viel wie »Akustische Ökologie« bedeutet. Eine Disziplin, in der Klanglandschaften und deren Wechselwirkung mit Menschen und anderen Lebewesen erforscht werden. Ein bisschen sei das vergleichbar mit einem abstrakten Bild von Yves Klein, das ja nicht auch einfach »nur« blau sei: »Wenn wir uns im nuancenreichen Hören üben, erlangen wir eine tiefere Wahrnehmung. Blau ist ja auch nie und nimmer nur blau…« So verhalte es sich auch mit den Geräuschen des Münsterlandes – erst durch das genaue Hören würde die ganze Dimension eines Klangereignisses klar.
Die 102 Stunden Audiomaterial sind jedenfalls erst einmal eingeteilt und sortiert worden – in Geräusche von Menschen, Maschinen, aus der Natur. In einem nächsten Schritt werden Komponist*innen mit ihnen arbeiten, sie verwandeln – in Kunst. »Die Schwelle von Geräusch über Klang hin zur Musik ist äußerst flüchtig. An ihr entwickeln sich neue Erfahrungen unserer Umgebung, die durch bloßes Sehen nicht möglich sind«, davon ist Eicke Riggers überzeugt. Er forscht an der Schnittstelle zwischen Kunst, Gestaltung, Technologie und Philosophie.
Der Klangkünstler Hans Tammen aus New York und die Berliner Komponistin Midori Hirano wollen aus der Sammlung eine Sinfonie entwickeln, die am 16. September in der Studiobühne Münster zu hören ist. Logisch, dass durch ihre Interpretationen wieder neue Hörweisen entstehen. Begleitet wird die Uraufführung von Vorträgen zum Thema Hören oder mit Audio-Guides zur Sammlung. Zudem kehren die Töne selbst an die Orte zurück, an denen sie entstanden sind. Ein Klangfahrrad wird sie nach Ascheberg, Nordwalde, Everswinkel und Heiden bringen, wo wiederum Hörstationen, Klanginstallationen und Konzerte warten. Um zu zeigen, wie es denn nun klingt, das Münsterland. Einzigartig – und immer wieder anders.