TEXT: GUIDO FISCHER
Wenn sich solch ein vielversprechendes Triumvirat zusammentut, herrscht Alarm im Feuilleton. Esa-Pekka Salonen dirigiert Wagners »Tristan und Isolde« in der Regie des Bilderstürmers Peter Sellars und mit dem Videokünstler Bill Viola als Surplus. 2004 fand die Premiere in Los Angeles statt. Als die aufwändige Produktion ein Jahr später von Gerard Mortier nach Paris in die Opéra de la Bastille eingeladen wurde, erlebte das Haus gewissermaßen einen weiteren Sturm auf die Bastille. Kaum jemand wollte sich die halbszenisch multimediale Musiktheaterreise durch die berühmteste Liebesherzkammer der Operngeschichte entgehen lassen.
Fünf Jahre danach ist die damals zwiespältig aufgenommene Inszenierung im Dortmunder Konzerthaus zu erleben: als deutsche Erstaufführung und im Eröffnungskapitel der auf drei Jahre angelegten Residenzschaft, die man hier dem Dirigenten und Komponisten Salonen widmet. In der Karriere des Finnen hat sich einiges getan. Nach der Ära als Chefdirigent der Los Angeles Philharmonic ist er seit 2008 Herr über das Philharmonia Orchestra London. Dass Salonen sein erstes, auf drei Tage angesetztes Gastspiel in Dortmund mit dem »Tristan« in neuer Top-Besetzung beschließt, ist jedoch weniger ein nostalgischer Blick zurück auf 17 erfolgreiche kalifornische Jahre. Für ihn haben die heftigen optischen und akustischen Wellengänge nichts an zeitgemäßer Sinnlichkeit und Brisanz eingebüsst. »Wenn man einmal Bill Violas Bilder gesehen hat, wird man sie nie wieder vergessen.« Ihre meditativ mystische Kraft zehrt sich nicht auf.
Salonens Satz ist mehr als ein loyales Bekenntnis zu dem Videokünstler, der für seine visuelle Gestaltung viel Kritik abbekommen hatte (Salonen wurde dagegen auf Händen getragen). Wenn er ans Pult tritt, will er nach eigenem Bekunden dem Publikum überhaupt ein Angebot fürs Leben machen und nicht nur für ein paar Stunden. Für diese Nachhaltigkeit zieht Salonen viele Register – doch nicht um jeden Preis. Postmodernes Crossover-Fastfood oder provozierende Radikalität – mit diesen Extrempositionen kann er nichts anfangen. Lieber frisiert er alte Programmzöpfe um, wenn er etwa eine Brahms-Symphonie und Soundtracks von Bernard Herrmann, Anton Bruckner und Witold Lutosławski, György Ligeti oder ein Orchesterwerk des Jazz-Trompeters Wynton Marsalis dirigiert. Beim »Tristan« erweitert Salonen sogar dramaturgisch und musikalisch Wagners Hörwinkel, indem er dem Ersten Akt eine Suite von Alban Berg, dem zweiten Auszüge aus Claude Debussys »Pelléas et Mélisande« und dem dritten Aufzug einen Ausschnitt aus Kaija Saariahos Troubadour-Oper »L ’amour de loin« voranstellt.
Als Nachfolger von Zubin Mehta und Carlo Maria Guilini konnte Esa-Pekka Salonen mit seinen Abenteuer-Programmen die Los Angeles Philharmonic wieder in die US-amerikanische Orchester-Champions-League führen. Zumal der Musiker Salonen dem Klischee eines unterkühlten Skandinaviers widerspricht. Sein kreatives Feuer und seinen brillanten Blick für die harmonischen Kämpfe und Kräfte der Klassik, Romantik oder klassischen Moderne setzte das Orchester mit wuchtiger Emphase und geistvoll hintergründig um. Wenn der heute 52-Jährige Kuriositäten wie die opulenten Bach-Transkriptionen von Leopold Stokowski oder Schönberg anpackte, zeigten sich die aufgeplusterten In-strumentationen messerscharf und zugleich von überwältigender Dreidimensionalität.
Bei all dem ist Salonen, dem Selbstinszenierung und Star-Allüre fremd sind, die Unmittelbarkeit der Musik besonders wichtig, ob im Konzertsaal oder Aufnahmestudio. Allein die Eröffnungstakte von Mozarts Haffner-Symphonie sollen für ihn die elektrisierende Energetik besitzen, wie es zum Beispiel die Rockband Metallica mit ihren Songs vormacht. »Selbst die schauerlichste Popmusik hat mehr Körperlichkeit als manche Klassik-Interpretation«, findet Salonen. Musik habe »genauso viel mit Bewegung und dem Körper zu tun wie mit Seele und Intellekt.«
Auf die Symbiose von Psyche und Physis setzt der in Helsinki geborene Salonen auch als Komponist. Gerade in seinen Orchesterwerken spannt er den Bogen von minimalistischen Zerklüftungen bis zur opulenten Gereiztheit und löst oftmals maschinenartige Druckwellen aus. Mit seinen Werken, die keinen Moden und Strömungen folgen, findet Salonen kein Gehör auf Insider-Festivals wie Donaueschingen. Damit kann er gut leben, da er seit Studienzeiten bei den italienischen Altmeistern Franco Donatoni und Niccolò Castiglioni mit der orthodoxen Nachkriegs-Avantgarde eher auf Kriegsfuß steht. Als Mafia hat er sie mal bezeichnet, obwohl er mit einem ihrer Wortführer, Pierre Boulez, in einem kollegialen Verhältnis steht. Aber die Vorstellung, dass Musik nur eine streng sortierte Kombination einzelner Parameter sein soll, war Salonen von jeher fremd. Weshalb er sich zu einer Art »postromantisch-mitteleuropäischen Musik« bekennt.
Fest eingeplant sind für die Dortmunder Residenz ganz neue Kompositionen. Nach den ersten Konzerten mit Werken von Schumann, Sibelius, Ravel und Debussy will Salonen sich mit dem Philharmonia einem Komponisten zuwenden, mit dem er schon in Los Angeles das Adrenalin steigen ließ: Igor Strawinsky, von dem Salonen und das Philharmonic Orchestra ein widerspenstiges »Frühlingsopfer« auf CD eingespielt haben. Auch eine aktualisierte Fassung von Strawinskys »Geschichte vom Soldaten« erwies sich in der szenischen Realisation durch Peter Sellars als brandaktuell und sogar ein wenig gefährlich. Der Soldat war nun ein Latino aus East-L.A. und Heimkehrer aus dem Golfkrieg. Für das Ensemble hatten Salonen und Sellars Laiendarsteller aus den Ghettos engagiert, allesamt vorbestraft und kriminell. Im Premierenpublikum saßen dann einige Gangs mit ihren Bossen. »Das unglaublichste Publikum, das wir je hatten.«
Esa–Pekka Salonen 14., 16. und 17. September 2010; Konzerthaus Dortmund; www.konzerthaus-dortmund.de