TEXT: NICOLE STRECKER
Der Mythos vom Ruhrgebiet als Metropole besonderen Typs wird auch in Post-Kulturhauptstadt-Zeiten gern beschworen. Jetzt soll das Revier nach Städten wie Berlin oder Venedig zu einer der »Surrogate Cities Ruhr« avancieren. Diese »Ersatzstädte« sind die Klang gewordenen Stadt-Visionen von Komponist und Ruhrtriennale-Intendant Heiner Goebbels – »Surrogate Cities« ist eine Komposition von 1994, die weltweit aufgeführt wurde und zu der Mathilde Monnier 2008 in Royston-Maldoom-Manier eine Choreografie entwickelte: Tanz mit Kindern und Jugendlichen diverser Schultypen. Mit Kampfsport-Clubs, Tanzsportvereinen, Hip-Hop-Gangs. Für die Ruhrtriennale wird eine Extra-Ruhr-Edition entwickelt mit 140 Akteuren aus der Region zwischen sieben Jahren und ›50+‹.
Heiner Goebbels arbeitet schon seit Ende der 1990er Jahre gelegentlich mit Monnier zusammen, auch in seinen beiden vorherigen Ruhrtriennale-Programmen waren Stücke von ihr zu sehen. Zuletzt ihre Performance »Soapera«: Ein Tanz in gigantischer Schaumwolke, die langsam zerflockt und zerfließt, bis sie als Schmierseifenpfütze den Performern einen glitschigen Tanzboden bietet. Ein Stück, in dem das Setting deutlich aufregender war als das choreografische Material. Nicht überraschend für Monnier, die vor allem für starke Konzepte und genreübergreifende Kooperationen bekannt wurde – sei es mit der provokanten Schriftstellerin Christine Angot, dem Philosophen Jean-Luc Nancy oder dem Popstar Philippe Katerine.
Vergangene Spielzeit also war es die amorphe Struktur von Lauge – diese Spielzeit ist die des Potts. In seiner »Suite für Sampler und Orchester« mäandert Komponist Goebbels bildungssatt durch Klangkosmen und Stile. Er kombiniert Klassik, Blues, Weltmusik und lässt die beiden großartigen Sänger Jocelyn B. Smith und David Moss Texte von Paul Auster, Heiner Müller und Hugo Hamilton intonieren. Einsame Melancholie, kakofonische Hektik, Science-fiction-gleiche Apokalypse. Ziemlich bedrückend und düster.
Die Französin dagegen zeigt sich weitgehend immun gegen ›German Angst‹. In ihrer Choreografie bringen die Laien-Performer ihr spezifisches Bewegungsmaterial ein – kindlich-verspielten Bewegungsdrang, heldenhafte Martial Arts, akrobatische Moves. Wenn Vokalist David Moss die Endlichkeit der Dinge besingt, kritzeln die jüngeren Generationen den schwarzen Boden mit Kreideskizzen voll. Leicht auslöschbare ›ich-war-hier‹-Behauptungen und mithin Vergänglichkeits-Chiffren natürlich, aber doch ausgeführt mit lebensbejahend-wildem Eifer. Kinder bauen aus Tetra-Packs, Eierkartons und Teepackungen Mini-Städte, in denen sie brutalstark wie King Kongs herumstapfen. Senioren präsentieren friedvolle Harmonie im Paartanz, und stoisch folgen sie ihrem Takt, den gelernten Abläufen von Hüftwiege-Dreh-Schrittkombination – völlig unbeeindruckt von Goebbels komplexer und völlig tanzferner Rhythmik.
Etwas hochtrabend könnte man behaupten, Mathilde Monnier erschaffe mit ihrer Choreografie eine Art »kinetische Soziologie«. Etwas einfacher gesagt, ist ihre Edition der »Surrogate Cities« eine ziemlich raffinierte Version der partizipativen Projekte, ohne die ein Festival heute kaum noch auskommt. Regionale Mehrgenerationen-Kunst im besten Sinn – ein bisschen rebellisch in ihrem Optimismus und unvermeidlich anrührend.
Auff. 20., 21., 26. & 27. September 2014, Landschaftspark Duisburg-Nord, Kraftzentrale. www.ruhrtriennale.de