TEXT: VOLKER K. BELGHAUS
Rosa-Weiß. Das ist nicht gerade die normale Farbe für Fußbälle – Werbeartikel von Telekommunikationsunternehmen mal ausgeschlossen. Und doch findet man im Jahr 2011 in Supermärkten ein Prämien-Sammelheftchen, in dem ein solcher offeriert wird. Zusätzlich im Angebot: Eine Backform für Fußball-Muffins. Schließlich findet vom 26. Juni bis zum 17. Juli die FIFA-Frauenfußball-WM in Deutschland statt, und da will man auch als Waschmittelhersteller mit dabei sein. Käme man umgekehrt auf die Idee, einen hellblauen Ball für die Herren zu verkaufen? Wahrscheinlich nicht. Eine merkwürdig gestrig anmutende dunkelhaarige WM-Barbie gibt es übrigens auch, hochoffiziell vom DFB herausgegeben. Sie soll so aussehen wie die Nationalspielerin Birgit Prinz. Von Ähnlichkeit, bis auf das Trikot, indes keine Spur.
Backformen und Pastellfarben – das erinnert an die 50er Jahre, als die Frau am Herd zu stehen hatte und nicht auf dem Fußballplatz. Der DFB verbot 1955 dann auch konsequenterweise den Damenfußball mit der Begründung, dass diese »Kampfsportart der Natur des Weibes im wesentlichen fremd« sei. Erst 1982 wurde die Nationalmannschaft der Frauen gegründet – mit Erfolg: Europameister 1989 und 1991, sowie Weltmeister 2003 und 2007. Oscar Wilde scheint mit seiner Einschätzung Recht zu behalten: »Fußball mag ein durchaus passendes Spiel für harte Mädchen sein. Als Spiel für feinsinnige Knaben ist er wohl kaum geeignet.«
Harte Mädchen sind die Spielerinnen des »Rotweiss Blutgretchen« aus Düsseldorf nur auf dem Platz; das Vereinslogo zeigt eine energische Spielerin im Manga-Stil mit Pflaster am Knie. Alles beginnt 2004 im Kunst- und Kulturverein »damenundherren«, als die EM der Herren übertragen wird. Eine Gruppe junger Frauen lässt sich von der Begeisterung anstecken. »Wir wollten nicht mehr nur zugucken«, sagt Katja Velmans, Fotografin, Diplom-Designerin und Gründungsmitglied der »Blutgretchen«. Also hieß die Devise: Selbermachen. Zu lange hatten sie auf der Tribüne die Fähnchen für »Blau Blau Brause« geschwungen, der Herrenauswahl des Kulturvereins »Brause Metzgerei Schnitzel«. »Wir waren eine richtige Thekenmannschaft, am Anfang konnten wir nix!«, lächelt Velmans. Die Erfolglosigkeit von damals lässt sich noch heute bei »Youtube« bewundern, man kann den »Blutgretchen« dabei zuschauen, wie sie mit Würde scheitern – das Spiel gegen den »FC Weiberkram« endet mit 2:15 Toren.
Der Film ist Teil von Katja Velmans’ Kommunikationsdesign-Diplom an der Bergischen Universität Wuppertal im Jahr 2006. Auf großformatigen Fotos macht sie die eigene Mannschaft zum Thema – im Mittelpunkt stehen Porträts der Spielerinnen, streng formal im identischen Bildausschnitt inszeniert. Die Fußballerinnen tragen rote, hochgeschlossene »Carhartt«-Jacken des damaligen Sponsors. Ergänzend zu den Porträts sind ihre Fußballschuhe zu sehen; unterschiedliche Marken, versehen mit den Spuren des Kampfes – Kratzer, Verfärbungen, Grasflecken. Für die mündliche Diplomprüfung ging Velmans unfreiwillig in die Verlängerung – einer der Professoren hatte schlicht den Termin vergessen.
In der ersten Zeit trägt jede der »Blutgretchen« Tarnnamen wie »Conny Keule«, »Tina Terror« oder »Katja Kawumm«. Im Tor steht »Annikahn«, und Katja Velmans spielt als »Katja Knipser«. Man findet erst seine Rolle, pölt anfangs noch ohne Trainer: »Wir mussten aber feststellen, dass uns das nicht nach vorne bringt!« Seit dieser Erkenntnis trainiert Mattes die Mannschaft, den alle nur beim Vornamen nennen, da seinem Nachnamen vor allem eins fehlt: Vokale. Matthias Grzegorczyk kommt vom »Blau Blau Brause« und baut die »Blutgretchen« nicht nur mental auf, sondern auch spielerisch. Der Spaß am Sport außerhalb des Liga-Lebens und die Kultur des Selbermachens sind geblieben – und mittlerweile gewinnt man sogar.
Trainiert wird in der Anlage des »Schwarz-Weiß 06 Düsseldorf« im Volksgarten, gespielt wird aber auch auswärts – mit Erfolg. Kürzlich sind sie in einem Turnier gegen vier Kölner Mannschaften ähnlichen Schlages angetreten– »die haben uns Düsseldorfer als Futter eingeladen« – und am Ende den Pokal geholt. Da haben sich die Kölner Kolleginnen vom Verein »Böse Möwen« wohl etwas verkalkuliert.
Die »Blutgretchen« sind nicht alleine, überall gibt es derartige Indie-Frauenfußballmannschaften. In Köln findet man die »Schmucke Hecke«, in Berlin die »Kick Chicks« und in der »Alternativen Liga Zürich« gibt es mit dem »FC Blutgretchen« eine eidgenössische Variante unter fast gleichem Namen.
Die Düsseldorfer Spielerinnen kamen und kommen aus der kreativen Szene, sind Designerinnen, Architektinnen, Balletttänzerinnen oder arbeiten in der Werbung. In der letzten Zeit sind auch Lehrerinnen dazugekommen, was auch einer breiteren Wahrnehmung in der Öffentlichkeit geschuldet ist. Zusammengezählt kommt man aktuell auf 50 »Blutgretchen«, eingerechnet auch diejenigen, die im Lauf der Zeit nicht mehr aktiv mitspielen oder weggezogen sind. Für Nachwuchs ist indes gesorgt, die Altersspanne reicht von 16 bis 45 Jahren. Der kulturelle Hintergrund bleibt aber weiterhin bestehen – kein Wunder, wenn das »damenundherren« als inoffizielles Vereinslokal herhalten muss. Die Verbindung von Fußball und (Pop-)Kultur ist so neu nicht, so stand Julio Iglesias im Tor bei der Jugendauswahl von Real Madrid und Robbie Williams war Mittelfeldspieler beim FC Port Vale. Die Angst des Tormanns vor dem Elfmeter spürte auch Albert Camus als Torwart bei Racing Universitaire d’Algier; und auch beim Torhüter des FC Wadowice, Karol Wojtyla, half wahrscheinlich manchmal nur beten. Immerhin ist der Mann später, als Papst Johannes Paul II., Ehrenmitglied bei Schalke 04 geworden. Und das aktuelle Kirchenoberhaupt, Benedikt XVI., ist um fünf Eckfahnen herum mit Paul Breitner verwandt; das aber nur nebenbei.
Fragt man Katja Velmans nach den Erfolgen des »Rotweiss Blutgretchen«, denkt sie nicht lange nach: »Dass wir diesen Pokal gewonnen haben, dass es uns nach sieben Jahren immer noch gibt und dass unser Trainer noch da ist. Und wir hatten bisher nur einen Knochenbruch!« Ende Juni, wenn die weibliche Fußballwelt zu Gast bei Freundinnen ist, werden die »Blutgretchen« ein Spiel in Mönchengladbach, das neben Bochum und Leverkusen zu den Spielorten in NRW gehört, besuchen und sich anständig die Seele aus dem Leib jubeln. Die anderen Spiele sieht man sich höchstwahrscheinlich gemeinsam im »damenundherren« an. Und in Zukunft? Pokale sammeln im »Vereinsheim« wie sich das gehört? »In der Liga spielen wollen wir nicht«, sagt Velmans, »es soll in lockerer Umgebung so weitergehen.« Was einen weiteren Pokal nicht ausschließt. Einen Traum haben sie aber doch noch. Nicht mehr nur auf kleinem Feld nach dem Prinzip »4 plus 1« zu spielen, sondern in normaler Mannschaftsstärke wie die Profis: »11:11«. Und damit ist nicht das Endergebnis gemeint.