Ihre Geschichte ist schon besonders. Ilanit Magarshak-Riegg ist Komponistin und Musikerin, Frank Römmele alias Sir ladybug beetle Comiczeichner und Autor. Ende der 1990er Jahre entscheiden sich die beiden, gemeinsam Theater zu machen, unbedarft, völlig offen, weil sie keine große Ahnung von dem Metier haben. Als half past selber schuld durchmischen sie die Genres, in einer Zeit, in der spartenübergreifendes Theater noch nicht allerorts Standard ist. Sie verbinden Musik, Schauspiel, Figurentheater, Schattenspiel und Film und nennen ihre Arbeit fortan »Bühnencomic« und sich selbst die Erfinder desselben, weil sie sich keiner vorhandenen Theater-Schublade zuordnen wollen oder können. 2002 präsentieren sie ihre erste Comicproduktion, »Die Sündenvergebmaschine«, damals schon im Düsseldorfer Forum Freies Theater (FFT), ihrer »Bühnencomic«-Heimstätte bis heute. Außerdem produziert das deutsch-israelische Duo Musik, Hörspiele und Filme.
Besonders ist auch ihre Arbeit. Charmant, simpel bis genial, durchgeknallt komisch, zynisch böse und bei allem vermeintlichen Anachronismus immer auch ihrer Zeit voraus. 2016 gewannen sie mit einem Schwarzlicht-Bühnencomic das RTL-Format »Die Puppenstars«. Comichaft – das meint vor allem die Musik, die jede Bewegung begleitet, das übertriebene Spiel, die große Geste, als würde hinter jeder Aktion eine Sprechblase aufpoppen, die visuellen Effekte, den klugen Humor. Das Düsseldorfer Theatermuseum widmete dem Künstler*innen-Duo eine komplette Ausstellung, ein Rückblick auf 20 Jahre mit den »Pelztierkochern und Menschenähnlichen«.
Utopie oder Dystopie?
2017 starteten half past selber schuld mit »Kafka in Wonderland« ihre Trilogie »Wonderland Inc.«, ihr Wunderland des Transhumanismus, in dem sie dem technischen Fortschritt und den dadurch erweiterten menschlichen Möglichkeiten unterhaltsame Szenen schenken. Mit »What Robots Need to Learn« feierte jetzt der dritte Teil Premiere im FFT. Dort hat die KI längst die Verantwortung übernommen, sich selbst programmiert und ist zum Weltpräsidenten aufgestiegen. Ein höchstaktuelles Thema: Die Veröffentlichung des Sprachprogramms ChatGPT mischt das Thema Künstliche Intelligenz zurzeit noch mal ordentlich auf. Längst ist klar, dass die KI Abläufe in Unternehmen verändern wird und vermutlich auch die meisten gesellschaftlichen Bereiche. Bei half past selber schuld dürfen wir Menschen immerhin noch unsere Einschätzung abgeben: Utopie oder Dystopie? Dafür gibt es am Einlass Pappfinger zur Abstimmung.
Und dann überrollen uns die Einfälle und Bilder und Anspielungen und Ausführungen. In anrührenden Stop-Motion-Filmen wird anschaulich vorgeführt, was die Roboter noch lernen müssen für die perfekte Lösung. Höflichkeit zum Beispiel. Da lässt ein Knetauto dann eine Entenfamilie über den Zebrastreifen passieren. Eine Art Klappstuhl-Ballett im Format Schwarzes Theater demonstriert die Wonderland-Demokratie: Jeder bekommt ein Haus. Einfach schön anzuschauen ist das. Im feinsten Figurentheater-Forschungsinstitut rennt Maus Jerry im Laborrattenrad für seine Unsterblichkeit und ein Mitspracherecht der Säugetiere. Und die aktuellen News gibt es wieder von Johnny Cahmir, einer Klappmaul-Puppe mit Tolle.
Perfekt abgestimmte Musik und Sounds, Puppen aus Pappkartons, Masken, Animationen, Songs, kurze Filmclips und große Gesten – alles ist dabei, eine Wunderkammer der Ideen, die mal begeistern und mal ins Leere laufen, auch auf Kosten der Geschichte. Egal, weiter geht’s im Kuriositätenkabinett von half past selber schuld. Unterhaltsam und eigensinnig.
Weitere Termine: 27. und 28. April
FFT Düsseldorf