INTERVIEW: ULRICH DEUTER
Vier Frauen um die 50 haben zum Weltfrauentag eine Gratiseinladung ins Wellness-Studio bekommen. Dort erwartet sie Horst, der Masseur. Eine solche Einladung sollte eigentlich stutzig machen, aber die Damen sind zu sehr mit Frauenfragen beschäftigt – den Enttäuschungen durch Männer und Kinder, dem Schwinden ihrer Attraktivität, dem subtilen Geschäft der Stutenbissigkeit –, um zu merken, dass sie in eine Falle geraten sind. Die Falle für die Frau ab 50. Ist der Mann – misogyn und zugleich Womanizer – des Weibes Untergang? Lebt man(n) besser ohne Frau?
Mail von K.WEST an Sibylle Berg, 31.10.2012, 16:45h: In »Die Damen warten« sieht man’s wieder: Ob der Mensch als Mann geboren wird, ob als Frau, beides ist Mist. Das kann es also nicht sein. Haben Sie eine Alternativ-Idee?
Mail von SIBYLLE BERG an K.WEST, 31.10., 17:47h: Wie furchtbar pessimistisch! Nein ich glaube nicht daran, dass alle Menschen furchtbar sind. Richtig böse sind sicher nur ein paar Prozent. Die restlichen – sagen wir 99 Prozent – sind ratlos, übernehmen, was Religion und Erziehung ihnen vorgeben, beugen sich dem Druck der Gemeinschaft, die auch ratlos ist, und versuchen, unangetastet durchs Leben zu kommen, was eben sehr oft misslingt.
K.WEST 31.10., 18:55h: Ha! Da wissen es Frau Merz-Dulschmann und die anderen Protagonistinnen Ihres Stücks aber besser! Sie empfinden sich selbst als »unsichtbare Wurst«, als untenrum undicht, sie haben Kinder, die ihnen unheimlich sind, einen Mann (wenn überhaupt), der sie abstoßend findet oder gleichzeitig eine andere vögelt, sie sind davon überzeugt, auf ihrem Berufsweg behindert zu werden, bloß weil sie Frauen sind. Und am Ende… Aber das Ende sollten wir nicht verraten. Also: Nicht die Menschen sind furchtbar, sondern ihr Leben. Besonders das der Frauen. Ein Frauenleben möchte man nicht geschenkt bekommen.
BERG 31.10., 19:00h: Ja aber – die sind doch neben dem Kern, der durchaus richtig ist, wer möchte denn schon eine Frau sein (es gibt sogar heute noch Religiöse, die jeden Morgen Gott – einem Mann – dafür danken, nicht als Frau geboren zu sein), also davon abgesehen, dass es uns in Europa als Frau schon fast gold geht, sind Merz-Dulschmann und die anderen natürlich irrsinnig lustig. Ihre Fragen sind ein wenig so, als würden sie Monty Python fragen, ob es nicht grausam ist, dass ihnen ständig die Arme weggesprengt wurden. – Na, was sagen Sie jetzt?
K.WEST 31.10., 20:01h: Touché! – Ich gebe zu, es ist mir schwergefallen, die Lage Ihrer vier Frauen richtig komisch zu finden, weil sie so nah am dem ist, was man im wirklichen Leben von wirklichen Frauen zu hören kriegt, z. B.: »Ich habe keine Lust mehr, neben dem Krieg, der in meinem Körper stattfindet, auch noch um eine Arbeit zu kämpfen, die dazu dient, diesen Körper am Leben zu halten, der nur dazu auffordert, dass Männer mich unbefriedigt und verbittert nennen.« Vielleicht kann ich auch schlecht gut finden, dass die Frauen an ihrer Körperlichkeit herummäkeln, und zwar jede an der der andern. Warum tun Frauen das?
BERG 31.10., 20:17h: Zu Ihnen sagen Frauen: Ich habe keine Lust mehr, neben dem Krieg, der in meinem Körper stattfindet, auch noch um eine Arbeit zu kämpfen? Was kennen sie denn für Frauen. Dass Menschen sich selten richtig gern haben, ist kein Geheimnis. Wir lieben es, uns für besser zu halten als die anderen. Ich vermute, Männer lösen ihre innerbetrieblichen Wettkämpfe einfach anders. Mit Machtstreitereien, Alkohol, Schlägereien, Schweigen und Depressionen. Ich halte es für lustiger, über einander Witze zu machen, als sich zu verprügeln.
K.WEST 31.10., 20:47h: Das mit dem Krieg sagt Ihre Frau Luhmann! Die Frauen, die ich kenne, sagen das nur dem Sinn nach. – Sie haben natürlich recht, dass es lustiger ist, sich nicht zu prügeln. Das lasse ich also ab sofort. – Lacht denn aber eine Frau, wenn ihr eine andere sagt: In Ihrem Alter können Sie einen so kurzen Rock aber nicht mehr tragen? Das frage ich, nicht weil ich Ihrem Stück die Komik absprechen will, sondern weil ich glaube, dass es unter den vielen lustigen Wort-Schokowickeln ziemlich bitter ist.
BERG 31.10., 20:48h: Ähhm, ja das glaube ich auch.
K.WEST 01.11., 10:11h: Oh, Sie haben ja gestern Abend noch geantwortet, liebe Frau Berg. Ihre Antwort klingt wie ein Schlusssatz.
BERG 01.11., 10:14h: Nein, das war der Schluss für gestern. Ich entnehme ihren Mails, dass sie das Stück richtig doof finden, was ja auch irgendwie schade ist …
K.WEST 01.11.,10:31h: Wie kommen Sie denn darauf? Ich finde »Die Damen …« aber eben bitter, ich wollte mich wehren gegen Ihr anfängliches Beschwichtigen; beim Lesen war ich so oft erinnert an die vielen schmerzhaften Erlebnisbeweise dessen, dass Mann und Frau nicht zusammenpassen. Nun haben Sie ja recht mit dem Monty Python-Argument: Nichts ist komischer als das Unglück. Haben Sie denn gelacht beim Schreiben?
BERG 01.11., 10:36h: Auch auf die Gefahr hin, als geisteskrank zu erscheinen: Ja, ich habe gelacht.
K.WEST 01.11., 10:58h: Dazu fehlte mir beim Lesen wahrscheinlich der Mut.
BERG 01.11., 11:03h: Oh weh. Vielleicht ist es auch völlig traurig. Ich habe das Stück seit Monaten nicht mehr angesehen, machen Sie mir keine Angst.
K.WEST 01.11., 11:12h: Na, es kommt ja darauf an, wie man es inszeniert und spielt. Aber ich hätte noch gern eine echte Antwort auf meine erste Frage. Nämlich ob Sie nicht doch davon überzeugt sind, dass das Problem die zwei Geschlechter sind.
BERG 01.11., 16:13h: Ja ich glaube sehr fest, dass es uns ein wenig besser ginge, wenn es keine unterschiedlichen Geschlechter gäbe, denn im Moment sieht es schon noch so aus, dass die Welt männlich heterosexuell dominiert ist. Aber das klingt ein wenig hart, ist es nicht? Was der Versuch einer Gleichberechtigung mit sich bringt, können wir ja an der Aggression einiger Männer Feministen gegenüber sehen. Nicht zu reden von den Ländern, in denen Frauen als Eigentum der Männer behandelt und Homosexuelle mit der Todesstrafe bedacht werden. Also klares Ja: Keine Geschlechtsunterscheidung wäre angenehm, solange wir in der Entwicklung unseres Verstandes nicht weiter sind. Die Menschen würden sich dann immer noch für ihre Hautfarbe und Religion, für unterschiedlich verteilten Besitz hassen, aber das wären dann die nächsten Baustellen.
K.WEST 01.11., 16:49h: Uups! Sie haben mich also auf das Trampolin der Komik gezogen, nur um mich von da in das schwarze Loch des Weltelends zu schubsen?
BERG 01.11., 16:50h: Sie haben es so gewollt!
K.WEST 01.11, 17:42h: Darf ich jetzt auch mal gemein sein?
BERG 01.11., 18:10h: Nee, das mag ich nicht. Gemein zu anderen sein macht Krebs.
K.WEST 01.11., 18:54h: Na gut. Dann stehe ich jetzt eben bis zum Hals im Weltelend und kann immerhin sagen: Es war Sibylle Berg! Das tröstet ja auch ein bisschen.
BERG 01.11., 18:57h: Mann, Mann, Mann, woher kommt denn jetzt das Weltelend? Haben sie etwa Nachrichten gesehen, oder ein paar Sachbücher gelesen, seit gestern? Was ist passiert?
K.WEST 01.11., 19:16h: Nee, hab nur Frau Berg gelesen. Irgendwie klingt das nicht so, als hätten Sie das eben alles komisch gemeint. Und schwups, fand ich es auch nicht mehr komisch. Eine letzte Frage noch: In Ihren Stücken und Romanen scheinen die Geschlechter immer dann gut miteinander auszukommen, wenn ein Geschlecht das andere massiert. Ist zwischen Mann und Frau Frieden, gar Freude möglich? Und wenn ja, wann und wie?
BERG 02.11., 11:19h: Ein Geschlecht massiert das andere? Wie sexuell? Die Frage ist doch: Ist unter Menschen Frieden möglich? Die Antwort zeigt die Geschichte und heißt: nein. Es ist in Einzelfällen völlig geschlechtsunabhängig möglich, sich zu mögen, in Ruhe zu lassen, sich der Unterschiede zu erfreuen, es setzt Gehirn voraus. Und ein zu Ende Denken. Amen.
Uraufführung von »Die Damen warten« 15. Dezember 2012 in der Regie von Klaus Weise am Schauspiel Bonn, Halle Beuel. www.theater-bonn.de