Kein Farbgeruch in der Luft, keine Kleckse auf dem Parkett, keine verklebten Pinsel in der Blechdose. Stattdessen zieht der Duft von Räucherstäbchen durch das große Aachener Altbau-Atelier. In den Regalen reihen sich tausende von Schallplatten, davor wacht eine ausgestopfte Riesenschildkröte, und auf dem Schreibtisch steht ein großer Bildschirm, der die Blicke fesselt. Denn irgendetwas Rätselhaftes spielt sich da ab. Es sieht aus wie ein Gesteinsklumpen, der ganz langsam seine Gestalt ändert. Tim Berresheim weiß, was dahinter steckt. Mit seinem Versuch, es zu erklären, scheitert der Künstler allerdings. Es liegt nicht an ihm, eher am fehlenden Computer-Sachverstand des Gastes.
Seine Arbeitsweise hat nicht viel gemein mit der, die man kennt aus klassischen Künstler-Ateliers. Denn die Zeit, wo Berresheim mit Pinsel und Stift Blätter und Leinwände füllte, liegt lange zurück. Schon beim Kunststudium in Braunschweig hatte er gemerkt, dass diese Art von Arbeit nichts für ihn war.
Inzwischen ist Berresheim 39 Jahre alt und überlässt, was an analoger Vorarbeit zu tun ist, einem Assistenten. Dessen Gesicht sieht man nicht, nur den Kopf – tief gebeugt über den Zeichentisch. Und die Hand, wie sie nach Berresheims Vorgaben feine Tuschelinien aufs Papier bringt. Den Rest wird der Künstler mit Tastatur und Maus erledigen und am Ende alles belichten und als Foto abziehen lassen.
In den vergangenen zwei Jahren hatte Berresheim bei dieser Arbeit fast immer nur eines im Kopf: Den Auftritt im Kunstverein Düsseldorf, wo er nicht bloß Bilder an die Wand hängen will. Er plant, dort einen eigens erdachten Bildkosmos zu installieren. Mit selbst entworfenen Tapeten, die mit den riesigen Bildern davor korrespondieren. Mit einer Bühne, auf der Berresheim und seine Band ab und zu Musik machen wollen. Mit einem Shop, wo man Schallplatten und Kassetten kaufen kann, außerdem Buttons, T-Shirts und sogar Porzellan im Berresheim-Look.
Alles gehört zusammen und ist unterlegt mit einer Geschichte, die von zwei Hauptdarstellern getragen wird. Immer wieder werden die beiden auftauchen im Kunstverein: Mann und Frau, makellose Exemplare, wie sie nur der Computer erschaffen kann – ohne all die Unzulänglichkeiten der analogen Welt. Wohl nicht ganz zufällig weckt das Paar Erinnerungen an Adam und Eva. Auch den eigenen Geschöpfen soll – so der Wunsch des Künstlers – etwas von Anfang innewohnen.
»Unsere Situation im Moment kommt mir wie eine Leer- oder Nullstelle vor«, bemerkt Berresheim mit Blick auf die hübschen Prototypen an der Atelier-Wand. »Aber dieser Transit wird, wie mir scheint, in der Kunst nicht mit zeitgenössischen Mitteln gestaltet.« Es sei bezeichnend: »In dem Moment, wo das Digitale den Boom angetreten hat – also 2004, würde ich sagen – hatten wir zumindest in der bildenden Kunst den Malereiboom. Die Farbe kam immer dicker auf die Leinwand.« Und eine gewisse Scheu vor dem Computer habe sich gehalten, so registriert er. Wohl nicht zuletzt aus Angst vor digitaler Kälte. Berresheim nun hat sich vorgenommen gegenzusteuern. Sein Paar für Düsseldorf versteht er als »Platzhalter für den Transit, in dem wir leben.« Und mit seiner Kunst will er eben jenen unserer Zeit entsprechenden Ausdruck finden, den er bisher in der Kunst vermisst.
Er beginnt bei Adam und Eva – reloaded, sozusagen. Allerdings haben die beiden den Sündenfall offenbar schon hinter sich. Sie sind nicht nackt, sondern von Kopf bis Fuß überzogen mit einer haarscharfen Zeichnung. Berresheims geduldiger Assistent hat sie in monatelanger Kleinarbeit zu Papier gebracht, und der Meister selbst zauberte die Vorlage dann per Computer auf die 3-D-Puppen.
Spontan denkt man an Tattoos, und ebenso unwillkürlich fällt der Blick auf Berresheim und all die feinen Muster, die seinen Oberkörper zieren – zumindest dort, wo das T-Shirt nicht ist. Ob er sich die Motive des eigenen Körperschmucks auch selbst ausgedacht hat? »Ja, die Ideen stammen von mir«. Seit 18 Jahren gehe er zum selben Tattoo-Stecher, doch Platz sei immer noch. Anders als bei den virtuellen Models für den Kunstverein. Die sind von Kopf bis Fuß gemustert, dabei stört nirgends eine Naht. Die beiden sind einfach perfekt. Eben dieser Mut zur Perfektion erscheint wie ein Schlüssel zu Berresheims Kunst.
Sein Wunsch und Vorsatz: »Man sollte auch in der Kunst die Qualitäten des Computers nutzen«. Eine wesentliche sei sicher, dass es keine Unvollkommenheit gebe. »Die ganzen Limitierungen, die in der Produktion von Kunst bisher aufgetreten sind – der Fehler, die Spur, der Schmutz, die Tiefenunschärfen… – das alles hat ja nur mit der analogen Welt zu tun.« Dem Computer seien solche Schwächen dagegen fremd, ihm müssten sie erst beigebracht werden. Viele Menschen erlebten das als Manko, die digitale Perfektion als Kälte. »Nur langsam kommt man an einen Punkt, wo man sagt: Okay, ist nicht defizitär, ist eigentlich ganz cool.«
Berresheim ist längst an diesem Punkt angelangt oder über ihn hinaus. Wenn er eines seiner Großfotos im Kunstverein auf eine Tapete mit Geröll hängt, dann lässt er es genau so aussehen, als sei es eingekeilt zwischen den Steinen – jeder Schatten sitzt, ist exakt berechnet.
Und wenn der Künstler eine Tapete für seinen Düsseldorfer Auftritt entwerfen will, auf der 25.000 Kalenderblätter umherwirbeln, dann begnügt er sich nicht mit billigen Effekten. Lieber nimmt er ein Wettersimulationsprogramm zur Hilfe, in dem man Winde und Turbulenzen genauestens eingeben kann. Die einzelnen Partikel, die sich in diesem Programm vielleicht Regentropfen nennen, ersetzt Berresheim einfach durch die wirbelnden Zettel.
»Ich habe die Hoffnung, dass der Computer dazu beitragen kann, den großen Modellen, die wir haben – Collage, Ready Made, Concept – vielleicht ein viertes oder fünftes hinzuzufügen«, so Berresheims Pädoyer. »Das andere haben wir ja nun alles schon hundert Jahre durchgenudelt.«
Tim Berresheim: Auge und Welt. 19. September 2014 bis 11. Januar 2015 im Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf. Tel.: 0211 / 2107420. www.kunstverein-duesseldorf.de