// Koffer. Die Bühne in der Essener »Casa« ist voller Koffer, zusammengeschobene Habseligkeitenbewahrer altertümlicher Art. Einstmals Reisekoffer – längst Bleibekoffer, denn auf ihnen, auf allem ringsum liegt Staub. Staub auch auf den Menschen, die hier in der Falle sitzen, in die sie geflohen sind: im Rücken die deutschen Armeen, vor sich das Meer, über das zu kommen unmöglich ist. Papier verwehrt ihnen die Weiterflucht in die überseeische Freiheit, Papiere, die sie nicht haben: Entlassungsscheine, Einreisevisa, Bürgschaften, Transit- und Ausreisevisa, die sich gegenseitig bedingen. »Transit«, Anna Seghers’ 1944 erschienener großer Roman, zeigt eine Gruppe Exilierter in Marseille im Sommer 1940. Unter ihnen ein junger deutscher Flüchtling, der an das Visum des toten Schriftstellers Weidel für Mexiko gelangt ist. Eigentlich will er in Marseille bleiben, nur allmählich wächst er in die Identität des Toten hinein, je mehr, desto stärker er den Behörden beweisen muss, dieser zu sein. Er trifft auf Weidels Frau Marie, die auf der Suche nach ihrem Mann umher irrt. Ihr dessen Tod verschweigend, geht mit ihr, die noch anderweitig gebunden ist, eine Beziehung ein – auf der Flucht sein macht Flüchtigsein.
»Transit« ist eine Chiffre für die transitorische Existenz der Exilierten im Zweiten Weltkrieg, doch der Roman ist auch Symbol für den Sicherheitsverlust des ganzen Jahrhunderts. In diesem Sinne hat Volker Braun den Stoff in seinem Theaterstück »Transit Europa« (1988) bereits ausgeweitet; die Bühnenfassung von Reto Finger, die jetzt am Schauspiel Essen gezeigt wird, fasst die Thematik noch allgemeiner, existenzieller. Im Verein mit Anselm Webers Inszenierung lässt sie eine kafkaeske Welt erscheinen, die durch das Wirken undurchschaubarer Mächte ihrer Koordinaten beraubt ist. Die Menschen schweben haltlos wie schon immer, Identitäten gleiten, Papiere, die Gewissheit bringen und Hoffnung schüren können, werden fahrig vom Boden aufgeklaubt. Buchstäblich aus dem Staub gezogen, aus dem sich zu machen all diesen Menschlein hier unmöglich ist. Stark spielt das Ensemble (allen voran Heiko Ruprecht als Seidler/Weidel); faszinierend die Sicherheit, mit der in der Schwebe zwischen träumerischer Melancholie und Düsternis agiert wird. // UDE