TEXT: STEFANIE STADEL
Eine Holztruhe voller Kleider. Yin Xiuzhen hat die Hosen, Blüschen, Shirts selbst getragen. Als Kind, in ihrer Jugend – über drei Jahrzehnte. Bis zu jenem Tag, an dem die Künstlerin auf die Idee kam, ihre textile Vergangenheit in Beton zu gießen. Nun hängt sie fest für die Ewigkeit in jener Kiste, die der Vater einst eigenhändig gezimmert hatte. Die »Dress Box« ist Denkmal und Schlüsselwerk zugleich. Denn damit hat 1995 vieles begonnen. In Yins Retrospektive jetzt in der Düsseldorfer Kunsthalle ist sie nicht zu sehen, doch finden sich dort etliche Arbeiten vereint, die den schlichten Gedanken weiterdrehen, ausbreiten, variieren.
Seit der Beton-Aktion gehört der Griff in die Altkleidersammlung für Yin zum Künstleralltag, und die Erinnerung hat sich als ein wesentliches Thema in ihrem Schaffen festgesetzt. Schuld daran ist nicht zuletzt die Herkunft der Künstlerin. Sie kam 1963 in Peking zur Welt, erlebt dort bis heute den rapiden Wandel, die gnadenlos vorangetriebene Modernisierung und Urbanisierung. Das, was dabei am schnellsten verschwinde, sei die Erinnerung, bemerkt Yin. »Deshalb ist das Bewahren von Erinnerung zur alternativen Lebensform geworden«.
TEXTIL HAT VORZÜGE
Eigentlich hatte sie in ihrer Heimat traditionelle Malerei studiert, doch seit dem Abschluss 1989 kaum mehr einen Pinsel in die Hand genommen. Zuerst komprimierte sie Trauer und Wut über die Zerstörung ihrer Stadt in Aktionen und Installationen. »Rettete« etwa Möbel aus niedergerissenen Altbauten in Peking und setzte sie, zusammen mit Schutt und Ziegeln, dramatisch in Szene. Mit dem Wechsel zu Textilien als Ausdrucks- und Erinnerungsträger Mitte der 90er Jahre bekamen ihre Arbeiten einen bunten, soften, leichten Charakter – einen verbindlicheren Ton.
Textil hat viele Vorzüge. Es ist farbenfroh, frei formbar und, dank immer schneller wechselnder Moden, reichlich verfügbar. Zudem birgt es jede Menge individueller Erinnerungen – genau das Richtige also für Yin. Im Atelier werden aus diesem Wunder-Stoff Flugzeuge, lang gezogene Lieferwagen oder Regale voller Bücher-Attrappen. Schwarzes Gewebe legt sich über ein Stück gepolsterte Autobahn und blaues bespannt ein begehbares Riesenhirn.
Es sind schöne, eingängige, unmittelbar ansprechende Objekte, die zuweilen fast poetisch wirken und dabei niemals ein Geheimnis aus ihrer reichen Botschaft machen. Im Gegenteil, Yin legt alles darauf an, von jedem richtig verstanden zu werden. Dabei wirkt es mitunter beinahe etwas aufdringlich, wenn in der Kunsthalle auf dem Titel-Schildchen an der Wand auch gleich die ausführliche Anleitung zur Interpretation geliefert wird – einem der textile Zigarettenstummel im Aquarium beispielsweise als »metaphorischer Stoffwechselrest unseres Daseins« nahe gebracht wird.
14 METER KLEINBUS
Nebenan liegt das Großhirn als »letzte Zuflucht«. Hier mag man der »anstrengenden, hektischen Welt« entfliehen. Tausend zur Schnecke gerollte Schals wollen nicht nur von der »Unendlichkeit des Universums« erzählen, sondern obendrein an die Epoche der chinesischen Ein-Kind-Politik erinnern – an all die »Wärme und Liebe«, die sich in den Familien auf den vereinzelten Sprössling konzentrierte. Zum Innehalten im mobilen Chaos ruft der »Highway« – so sollte es zumindest sein. In Düsseldorf jedoch ist die meditative Rast auf dem weichen Straßenbelag aus konservatorischen Gründen untersagt.
Dafür darf man es sich im umgebauten Kleinbus gemütlich machen. Yin hat das chinesische Freiheitssymbol und Modegefährt der 90er in der Mitte geteilt, eine Art Stofftunnel zwischen seine beiden Enden gespannt und es so auf eine Länge von gut 14 Metern gestreckt. Drinnen laden ein paar Hocker zum Beisammensitzen, und nach draußen tönt der Hit »Beijing, Beijing«.
Dort, in Peking, ist sie groß geworden, als Kind der Kulturrevolution. Mit dem Kunststudium wurde Yin Xiuzhen just im Jahr des Massakers auf dem Platz des Himmlischen Friedens fertig. Danach herrschte zunächst einmal Stillstand in der Szene. Erst Jahre später regten sich wieder erste Kunstaktivitäten im Untergrund. Damals begann auch Yin mit Installationen und Performances. Ließ 1995 etwa in einer Eisfabrik zehn Kubikmeter total verschmutztes Flusswasser einfrieren. Die Eisblöcke legte sie ans Ufer, drückte Passanten Bürsten in die Hand und forderte sie auf, das gefrorene Wasser zu säubern.
TRAGBARE STADTLANDSCHAFTEN
Natürlich sind solche Arbeiten nicht unpolitisch. Auch aus den Stoffobjekten in der Kunsthalle spricht eine gewisse Kritik. Doch Protest hört sich anders an. Yin kehrt ihr Engagement ins Emotionale. Der Dramatik und Brisanz ihrer Themen steht eine Kunst gegenüber, die einfach sein will, naiv fast und leicht lesbar. Eine Kunst, mit der Yin Xiuzhen Karriere machen konnte – in China. Ohne mit Repressalien kämpfen zu müssen. Sie brauchte nicht – wie manch ein Kollege – die Koffer zu packen. Tat es aber trotzdem immer wieder, weil man sich als zunehmend gefragtes Mitglied im globalen Kunstzirkus sehen lassen sollte an den Schauplätzen des Geschehens: Venedig etwa, wo die Künstlerin ihr Land 2007 bei der Biennale vertrat, oder New York, wo sie drei Jahre später im Museum of Modern Art gastierte.
Die Erfahrung, immer unterwegs zu sein, gehöre zu ihren wichtigsten Inspirationsquellen, sagt sie. Davon künden in der Ausstellung die »Portable Cities«: In aufgeklappten Koffern arrangiert Yin diese tragbaren Stadtlandschaften, geschneidert aus Altkleidern, die sie vor Ort sammelte. Anhand geläufiger Sehenswürdigkeiten sind die Panoramen unschwer zu identifizieren. Auch Düsseldorf ist dabei; dort zieht sich der Rhein als breite Spur aus geringeltem T-Shirt-Stoff durch den Koffer, die Kunsthalle ist in grauem Filz gehalten. Dazu passt die Krawatte vom Kunsthallen-Chef – auch sie, so heißt es, soll in Yins Koffer Verwendung gefunden haben.
Ihren persönlichen Koffer hat Yin Xiuzhen fern des Zentrums ihrer Heimatstadt ausgepackt. Mit Mann und Tochter hat sie der Hochgeschwindigkeits-Urbanisierung mittlerweile den Rücken gekehrt und kommt im ländlichen Norden zur Ruhe. Ihr Fazit: »Wir können uns bei allem nur sehr bemühen, dass sich die Dinge etwas langsamer entwickeln.«
Bis 10. März 2013. Kunsthalle Düsseldorf; Tel.: 0211/89 962 40. www.kunsthalle-duesseldorf.de