Dies ist ein Roman für die kommenden Wochen: bevor es Herbst wird und die Frankfurter Buchmesse die wirklich wichtigen Werke vorlegt. Denn »Kochen mit Fernet-Branca« ist voll von Sommer und kann, was der Titel nicht vermuten lässt, auch als Aperitif genossen werden – vor schwererer Kost. Es ist ein so gar nicht magenbitterer, eher sektlauniger Roman über zwei Eigenbrötler, über das alte und das neue Europa, über den Kulturbetrieb und nicht zuletzt über die liebevolle Verachtung zwischen den Geschlechtern.
Die zwei Helden der Geschichte sind der Brite Gerald sowie seine Nachbarin Marta, die aus Woinowien stammt, einem jener postsowjetischen Kaukasusgebilde, auf die unsereiner herabsieht. Gerald hat sich ein Haus in den Apuanischen Alpen gekauft, einer sehr einsamen Berglandschaft der Toskana, wo er in Ruhe seine Bücher schreiben will, Biografien von Sportlern, denen er dadurch zu so etwas wie Persönlichkeit verhilft. Da platzt ihm eine Frau in die Arbeitseinsamkeit, die es nach Aussage des Maklers gar nicht gibt, eine Nachbarin: eine »kruselhaaarige Trine« mit dickem Busen und abgrundtief schlechtem Englisch, aber einer Flasche Fernet-Branca in der Hand. Mürrisch lässt sich Gerald, der Ich-Erzähler, zu einem Gläschen überreden und schafft es überdies nicht, sich Martas Einladung zum Essen zu entziehen. Als Brite ist er ein Mann des Indirekten, der der allesumarmenden Direktheit der Osteuropäerin nicht standhalten kann. Er rächt sich, indem er zum Date eine selbst bereitete Nachspeise mitbringt, Knoblauch-Fernet-Branca-Eis. Alsbald lernen wir, dass der Gebrauchsschriftsteller ein Extremkoch mit besonderen Vorlieben ist: Fischotter mit Languste etwa ist eins seiner Gerichte oder geräucherte Katze mit Haushaltspetroleum, wobei fast immer Fernet-Branca eingerührt und jedes Rezept abgedruckt wird.
Köstlich ist die bissig-trockene Bosheit, mit der Gerald alles, was ihm widerfährt, bedenkt: die britische Gegenwartspolitik, die Protagonisten seiner Bücher und vor allem: Marta, die ihm herzlich unsympathisch ist. In deren Wahrnehmung erscheint Gerald hingegen anders: verklemmt, ein Mann ohne Hintern in der Hose, ein Tollpatsch und aufgeblasener Westler, der diesen scheußlichen Fernet-Branca säuft und unfähig ist, wahres woinisches Essen wie Schonka mit Tunke zu genießen. Im nächsten Kapitel nämlich ist plötzlich Marta die Ich-Erzählerin; dann wieder Gerald, und so fort.
Dass beide Ähnliches treiben, ähnlich denken, wissen beide nicht, weil sie viel zu viel Genuss an ihren jeweiligen Vorurteilen haben. Auch Marta fühlt sich durch den Nachbarn gestört, auch sie hat zu arbeiten: Sie komponiert eine Filmmusik für den großen Piero Pacini – den auch Gerald verehrt. Mysteriöse Hubschrauber landen, ein Popstar fliegt ein und flieht vor UFOs, es riecht mafiös, ein Zaun wächst zwischen Geralds und Martas Grundstück, aber unaufhaltsam bringt das Schicksal bzw. der Autor bzw. Fernet-Branca die beiden argwöhnischen Nachbarn zusammen – dass daraus keine Liebesgeschichte wird, aber hat andere Gründe.
James Hamilton-Paterson: Kochen mit Fernet-Branca, dt. von Hans-Ulrich Möhring; Klett-Cotta 2005, 364 Seiten, 22,50 €