Ist »Citizen Kane« nun der beste Film aller Zeiten? Klar ist das nicht. Aber gute Argumente dafür bietet David Fincher nun mit seinem neuen Film »Mank« , weil er darin den Entstehungsprozess im Kopf des Drehbuchautors Herman J. Mankiewicz begleitet – und sein kompliziertes Verhältnis zum Regisseur Orson Welles. Sicher ist, dass er in »Mank« 80 Jahre nach »Citizen Kane« die gleichen Stilmittel anwendet, die den Film von 1941 zur Legende machten. Auch »Mank« wurde in Schwarz-Weiß gedreht, obgleich das nicht richtig klingt, denn die Schattierungen, Lichtsetzungen und Scharfstellungen sind alles andere als ein- bis zweitönig.
An das, was der geniale Amateur Welles an technischen Finessen und Innovationen für die Geschichte des Charles Foster Kane, seines glorios größenwahnsinnigen Lebens und Untergangs in seinem Xanadu mit dem Wort »Rosebud« auf den Lippen, entwickelt hat, ist der visuell gewiefte und kaltblütige Zuschauer von heute längst gewöhnt. Aber bei Welles nahm es seinen Anfang. Dort liegt der Ursprung.
Aufstieg und Fall eines Giganten – das ist »Citizen Kane«, dessen Gestalt sich orientiert an dem amerikanischen Medienmogul William Randolph Hearst (1863-1951). Das Wissen darum setzt Fincher voraus.»Mank« ist dadurch auch ein Museum in Bewegung mit einer historischen und einer zeitgenössischen Abteilung. Allein, wer die Fakten, Hintergründe und Bezüge, die Verweise, Zitate, Referenzen, die »Mank« enthält, nicht erkennt, kann den Film dennoch nehmen als das, was er ist: ein Künstler-Porträt aus den brutalen goldenen Zeiten Hollywoods, dieser Talent-Fabrik und Moloch-Maschine zur Menschen-Vergottung und Menschen-Vernichtung.
‚Mank’, dessen Bruder Joseph Meisterwerke wie »All about Eve« und Kostümschinken wie »Cleopatra« gedreht hat, ist eine Instanz in Hollywood. Nun soll der 18 Jahre Ältere, der zu viel trinkt und sein Glück verspielt hat, für Welles, der erst 25 ist und mit seiner fiktiven Radio-Reportage »Krieg der Welten« die Nation in Angst und Schrecken versetzt hat, das Skript verfassen und wird dafür in Klausur geschickt. Er soll gewissermaßen auf dem Trockenen sitzen, was nicht funktioniert. Das Studio RKO, das »Citizen Kane« produziert, lässt dem umworbenen Wunderknaben Welles freie Hand. Und kontrolliert Mank. Tief umdüstert, scharfzüngig, von schneidend lästerlichem Witz und sarkastisch brillant gerade auch in der Negation ist dieser ‚Mank’, den Gary Oldman in einem Oscar-reifen Charakterporträt verkörpert.
Dass Netflix »Mank« herausbringt, wirft auch ein Schlaglicht auf das gegenwärtige Hollywood. Dass David Fincher wiederum das Drehbuch seines verstorbenen Vaters Jack verfilmt hat, der ebenfalls nicht unbeschadet im Getriebe des kalifornischen Dreamlands blieb, ist bezeichnend und zieht eine weitere Bedeutungsebene ein.
Die Beziehung zwischen Mank, Hearst (Charles Dance) und dessen Frau Marion Davies (Amanda Seyfried) bekommt bei Fincher weit mehr Raum, als die zwischen Mank und Welles. Der König und sein wahrsagender Narr, der doch nur Affe der Macht ist – das hat Shakespeare-Format. Und wer etwas nachdenkt, wird in Hearsts karnevalistischem Spukschloss auch eine Art Trump Tower erblicken. Es ist, all dies, die Tragödie des Lächerlichen, infamer Geschäftstüchtigkeit, millionenschwerer Borniertheit, hemdsärmelig lärmender Unwissenheit, trivialer Großartigkeit und einsamen Geniekults.
Am Schluss von »Citizen Kane« löst sich das Geheimnis der Erinnerung auf –ebenso banal wie berührend und vergänglich wie eine Schneeflocke. David Fincher spielt auch mit dieser Doppelung, spiegelt seinen Film im Monument »Citizen Kane« und aktiviert das Gedächtnis der Filmgeschichte.