Man muss wahrscheinlich selber einen Schlag ins Gesicht bekommen, um zu erfahren, wie sich ein Boxer wirklich fühlt. Der polnische Schriftsteller Szczepan Twardoch hat für seinen Roman »Der Boxer« mit dem Kampfsport begonnen – vier Mal die Woche trainiere er 90 Minuten lang, sagte er der SZ. Der Boxkampf zu Beginn des Buches ist dann auch ein langer, düsterer Tanz zweier Männer im Warschau des Jahres 1937. Es sind die letzten Jahre der zweiten polnischen Republik, die 1939 durch den Hitler-Stalin-Pakt aufgelöst sein wird.
Der umjubelte Sieger des Kampfes ist Jakub Shapiro; ein jüdischer Boxer, Schläger und gewalttätiger Handlanger des »Paten« Jan Kaplica. 92 Kilo kompakte Muskulatur, grobe Züge. Er war schön, »aber anders schön als sein Gegner Ziembiński, eine gleichsam finstere Art von Schönheit«. Shapiro, der den Vater des Ich-Erzählers Mojżesz Bernstein im Auftrag von Kaplica umbringt, nimmt den Jungen auf, führt ihn in die kriminelle Unterwelt der Stadt ein, dessen »König« er werden will.
Twardoch, geboren 1979, sorgte bereits mit den Romanen »Morphin« und »Drach« für Furore. Seinen »Boxer« legt er elegant, episch und teils brutal im Breitwandformat an – wie gemacht für eine Serien-Adaption auf Netflix. Gangsterbanden, flirrende Etablissements, ein roter Chrysler Imperial. Aus dem Jungen wird der Erzähler und Brigadegeneral Mosche Inbar, eine äußerst raffinierte Perspektive, um zwischen den Jahrzehnten zu wechseln, wissend der kommenden Schrecken: »Tadeusz Pietrzykowski, Meister der Stadt Warschau, derselbe, der später in einer anderen Welt als Häftling in den Lagern Neuengamme und Auschwitz kämpfte«. Ebenso raffiniert-vertrackt sind die Selbstzweifel des alten, sich erinnernden Erzählers: »Vielleicht habe ich gar nicht in dem Chrysler gesessen, vielleicht hat Shapiro mir das alles erzählt?«
Szczepan Twardoch: »Der Boxer«, Aus dem Polnischen von Olaf Kühl, Rowohlt Berlin, Berlin, 2017, Roman, 464 Seiten, 22,95.- Euro
Lesungen am 9. März 2018 in der Buchhandlung Proust, Essen und am 10. März 2018 auf dem Literaturschiff »MS RheinEnergie«, Köln (im Rahmen der lit.Cologne)