TEXT: VOLKER K. BELGHAUS
»Käte« kommt im Karton. Ein 50 Meter langes, schwarz glänzendes Kabel; dabei eine Glühbirne, eine passende Fassung und vier Stricknadeln. Gut – Stricknadeln stimmt nicht ganz, schließlich wirken die aus Besenstielen hergestellten Stöcke eher wie Requisiten für asiatische Kampftechniken. Dennoch – mit Geschick und Ausdauer lässt sich aus diesem Set eine Lampe stricken. Das Endergebnis erinnert zwar beim ersten Blick an verknotete Lakritzschnecken, ist aber ohne Zweifel ein Einzelstück und ein Lampenschirm namens »Käte«, was wiederum an den Fußballer Rudi Völler erinnert, dem man in den 80er Jahren aufgrund seiner entglittenden Dauerwelle den Spitznamen »Tante Käthe« verpasste.
Frage an Pierre Kracht, den Mann, der »Käte« entworfen hat: Wie kommt man auf die Idee, aus Kabeln direkt eine ganze Lampe zu stricken? Kracht hat das schon oft gehört und stellt amüsiert die Gegenfrage: »Aus welchem Material sonst?« Auch wieder wahr. Kracht hat »Käte« aber nicht als Designscherz entworfen; die Lampe ist das Ergebnis einer längeren Entwicklung. Der Designer, der 1979 in Bünde geboren wurde, beschäftigte sich bereits während seines Studiums für Raum- und Objektdesign an der FH Dortmund mit der »Linie im Raum«, und wie eine solche Linie dreidimensionale Formen annehmen kann. Zudem hat ihn ein Zitat aus seiner Lehrzeit zum Raumausstatter geprägt: »Der russische Kronleuchter«. Der Begriff stammt von seinem damaligen Meister, der so die typische Beleuchtung in Umzugswohnungen bezeichnete – ein aus der Decke ragendes Kabel samt funzeliger Glühbirne. Für Kracht war das ein schönes Bild; sprachlich wie gestalterisch. Die Begeisterung für die funktionale Form »Birne und Kabel« blieb, und so wurde »Käte« zu Krachts persönlichem »russischen Kronleuchter«. Für den Designer ist das schnöde Kabel an sich schon ein »interessantes Objekt«, und er versteht die stromführende Leitung als »Nabelschnur« seiner Produkte.
Interessierte Menschen, die sich von der kabeligen »Käte« ihr Heim erhellen lassen möchten, aber beim Gedanken ans Stricken an lange und nervende Schulstunden beim »textilen Gestalten« denken, kann Kracht beruhigen: Es gibt das Lichtobjekt auch schon fix und fertig gestrickt. Kostet dann aber mehr. Die Mutigen unter den Kunden bekommen das besagte »Selbststrickset«. Trotz, und gerade wegen der positiven Resonanz entwickelt Cable-Guy Kracht seine »Käte« kontinuierlich weiter und bringt Farbe ins Spiel. Ausschlaggebend war eine Auftrags-arbeit für das belgische Auktionshaus »Pierre Bergé« – aus »Käte« wurde »Rapunzel«, statt der schwarzen Strippe verstrickte er goldummantelte Textilkabel. Jene Kabel haben auch »Käte« farbig werden lassen, das Stricklicht ist neuer-dings auch in den Druckfarben Cyan (Türkis-Blau), Magenta (Purpur-Pink), Yellow (Gelb) und Grey (Schwarz-Grau) erhältlich. Und auch beruflich entwickelt Kracht sich weiter. Zusammen mit der Designerin Kathrin Füser hat er das Büro »Fremdform« für »poetisches und funktionales Design« gegründet. Auf handgehäkelte Tische und geklöppelte Schränke wird man aber wohl vergeblich warten.