TEXT: ANDREAS WILINK
Was könne ihm schon geschehen? Fragt Tore, der Religions-Punk, der Jesusfreak. Er ist blond, unschuldig, fromm und fröhlich im Herrn. Am Anfang bekommt der erwachsene Tore seine Taufe im Fluss. Er wohnt in einer Kommune mit Kumpeln, aber findet dort nicht seine Berufung. Auf einem Parkplatz lässt er ein kleines Wunder geschehen und bringt den Wagen von Benno wieder zum Laufen – Jesus hilft. Bald freundet er sich mit Benno an, bald wohnt er mit ihm, dessen Freundin und deren Sohn und Tochter im Schrebergartenhaus. Die sanfte Friedfertigkeit und Bedürfnislosigkeit des kleinen Franziskus und komischen Heiligen (Julius Feldmeier) provoziert und weckt nach anfänglicher Harmonie Aggressionen der anderen. Tore indes hält die andere Wange hin. Er nimmt alles als Prüfung hin. Benno schlägt ihn, man verlacht ihn, lässt ihn verkommen und hungern und zwingt ihn, verdorbenes Fleisch zu essen, so dass er mit einer Vergiftung ins Krankenhaus muss. Aber er kehrt zurück zu seinen Peinigern, dem Familienersatz, ähnlich wie die Heldin in Lars von Triers »Breaking the Waves«. Wie dort Bess, ebenfalls nicht ganz von dieser Welt, wird auch Tore Opfer sexueller Übergriffe, bis zum blutigen Ende.
Das wird von Katrin Gebbe mit äußerster Konsequenz und Krassheit erzählt – quasi dokumentarisch protokolliert. In drei Kapitel gegliedert – Glaube, Liebe, Hoffnung –, will der an den Nerv gehende Film Parabel sein und zugleich Widerruf der biblischen Trias. Mehr und mehr driftet die Studie über die Möglichkeit, seine Überzeugungen zu leben in einer feindlichen und bedrohlichen Atmosphäre, in einen Pasolini-haften Passionsweg, gekreuzt von dänischer Dogma-Strenge. Tore, das Opferlamm, Tore, der Sündenbock, zusätzlich stigmatisiert durch seine Epilepsie-Anfälle, bekommt aber durch Krankheit, sein »anderes« Verhalten und seine soziale Randexistenz Eigenschaften zugeschrieben, die ihn in gewissem Sinn pathologisieren und quasi seiner Unschuld berauben. Was dem Film wiederum etwas von seiner kraftvollen, höher als jede Vernunft angesiedelten Behauptung nimmt.
»Tore tanzt«; Regie: Katrin Gebbe; Darsteller: Julius Feldmeier, Sascha Alexander Gersak, Swantje Kohlhof, Deutschland 2013; 110 Min.; Start: 28. November 2013.