Der Januar scheint ein guter Zeitpunkt für eine Veranstaltung wie die »Passagen« zu sein. Man hat das alte Jahr hinter sich gelassen und blickt dem Zukünftigen entgegen. In Köln feiert sich dieser Tage die Möbelindustrie selbst, wie jedes Jahr findet die »Internationale Möbel-Messe« (IMM) statt. Immerhin die größte Möbelmesse weltweit, mit 1300 Ausstellern aus 60 Ländern, die heuer unter dem Motto »Compasso d’Oro« auf 50 Jahre italienisches Design zurückblickt und sich auch nicht scheut, dafür noch mal die arkadische Frage: »Kennst Du das Land, wo die Zitronen blühen?« aus der Schublade zu kramen. Die IMM scheint ein wenig orientierungslos und sucht nach Antworten – wie sonst soll man die Frage »Wo sind die Möbeltrends?« auf den offiziellen Plakaten verstehen? Findet man die Trends in der Messehallenzweckarchitektur, zwischen vollgeräumten Ständen und drängelnden Tütenträgern? Vielleicht.
Wie dem auch sei, dem Messebesucher und Design-Interessierten sei der Blick nach draußen empfohlen: Jenseits der Messehallen, in der Kölner Innenstadt, finden zum 18. Mal die »Passagen« statt. Die wurden 1989 von der Veranstalterin Sabine Voggenreiter als »unabhängige Designausstellung« erdacht und gegründet. Die studierte Kunsthistorikein wollte eine »Überblicksausstellung zum aktuellen Interior Design machen«; Design »im Kontext von Architektur zeigen, in authentischen Atmosphären und Inszenierungen«, wie sie sagt. Um so ein »Sprungbrett für junge Designer schaffen und die deutsche Szene zu internationalisieren.« Mittlerweile sind ihre »Passagen« zu einer festen Größe in der Designszene avanciert, aber pflegen, trotz des Erfolgs, immer noch ihr Image als »Independent-Label«.
An über 150 Orten, die dezentral im Stadtgebiet verteilt sind, stellen Unternehmen und Designer ihre Arbeiten vor. Entwürfe, die weiter als bis zur nächsten Saison denken wollen – die Zukunft des Wohnens als solche muss es schon sein. Neben heutigen Möbeln und Einrichtungsideen finden sich hier auch die ganz großen Visionen. Aber: Keine Zukunft ohne Vergangenheit – die Hüllen der Industriegesellschaft bilden die Kulisse für die »Passagen«. Im ehemaligen »Lichtviertel«, dem Vulkan-Gelände in Ehrenfeld, oder am neu belebten Rheinauhafen kann man sich einen Überblick über Möbel, Licht, Accessoires, Badkultur und Materialien verschaffen. Insgesamt gilt: Man muss sich die »Passagen« schon erlaufen; auch im Belgischen Viertel, in den Spichernhöfen und auf der »Möbelmeile« Ring treffen sich Designinteressierte und Fachpublikum zur Trendschau. In einer offenen Atmosphäre gibt es Design mit Happeningcharakter, teilweise mit künstlerisch-studentischer Anmutung, hier wird das Bier gern aus der Flasche getrunken.
Köllsche Bodenständigkeit, die sich vor der Internationalität des Sujets und der Szene nicht fürchtet – so wird zur Eröffnung der Ausstellung »Tatort Design« Kölner Blutwurst gereicht. »Design braucht Täter« ist deren Motto, es werden ausgewählte Designprozesse der letzten Zeit zur Schau gestellt. Zusammen mit den Film-Ausstattern von »fake-filmconstruction« hat Designer Martin Neuhaus eigens eine Halle an der Venloer Straße hergerichtet. Themen-Shows aber sind nicht alles, daneben hat auch das fast schon klassische Möbeldesign auf den »Passagen« seinen Platz. Ana Motjér und Oliver Schneider vom Kölner Designlabor »Royal Family« zitieren munter die Formensprache der 50er und 60er Jahre, ihre Küchenentwürfe offenbaren eine Affinität zur »runden Ecke«, die Schrankelemente haben die Anmutung damaliger Musiktruhen. Auch ihr Vorhang- und Raumteilersystem »nolastar« atmet diesen Geist; abgerundete, quadratische Kunststoffplatten lassen sich zu einem Vorhang zusammensetzen: »Ein Vorhang ist eine Tapete, ist ein Raumteiler, ist eine Wandverkleidung«. Eine gelungene Alternative zu den grauen Lamellen, die sonst die Sicht in Büroräume versperren sollen. »Royal Family« werden in Köln auch eine Installation für den virtuellen Musiksender »justmusic.tv« präsentieren, dessen verschiedene Musikrichtungen in einem modularen System vereint werden sollen.
Auf den »Passagen« geht es nicht darum, nur ein schönes Möbelstück in einen Raum zu stellen, es geht um den Raum selbst, der gestaltet wird und auf die Sinne des Menschen übergeht. So will der Designer Mike Meiré zusammen mit der Firma Dornbracht die, den Raum auflösend-erweiternde, Architekturvision »noises for ritual architecture« erlebbar machen. Die Iserlohner Amaturenfabrik arbeitet schon seit einigen Jahren mit Künstlern, Designern und Architekten zusammen, die soentstandenen Projekte werden unter dem Titel »Dornbracht Culture Projects« veröffentlicht. In deren Rahmen hat Mike Meiré einen »Soundspa« entworfen, in dem seine Sammlung von »Raumklängen zur Ritual-Architektur im Bad« das »Verhältnis von Raum, Materialität und Bewegung« reflektieren soll. Reinigung soll als umfassender Prozess begriffen werden. In Entwürfen wie diesem schwingt viel Theorie mit, und so bleibt es fraglich, ob die drei Sound-CDs »MEM, LOGIC, ELEMENTAL (Vol. 1-3)« auch in der heimischen Badewanne ihre Raumwirkung auf gewünschte Weise entfalten.
Ähnliche Badezimmervisionen zeigt Ross Lovegrove mit dem türkischen Badezimmerausstatter »VitrA«, hier wachsen die Waschbecken wie futuristische Pilze aus dem Boden. Das Studio »ünal&böler«, ebenfalls aus der Türkei, legt mit »Budak«, einem Regal- und Sitzsystem, eine völlig andere Herangehensweise an den Tag. Ihr filigranes, knallrotes Stecksystem, das an kahle Zweige erinnert, lässt sich zu immer höheren Verästelungen auftürmen, der Übergang zwischen Sitz- und Regalfläche verschwimmt. »Budak« scheint die romantische Idee des deutschen Waldes zu modernisieren. Das zerbrechlich wirkende, skulpturale System soll in Geschäftsräumen und Ladenlokalen eingesetzt werden, an deutsche Wohnzimmer ist aber erstmal nicht gedacht.
Trotz des kreativen Ausnahmezustands, den die »Passagen« jährlich entfesseln, ruhen sich die Macher nicht auf ihrem Erfolg aus. Sabine Voggenreiter denkt da schon weiter, mit realisierten Visionen hat sie ja Erfahrung. Ihr schwebt Köln-Ehrenfeld als Kreativstadtteil vor, »Designcluster« nennt sie das. Kreative und Designer sollen angelockt werden, um hier zu leben und zu arbeiten. Leere Flächen sollen reaktiviert und ein kreatives Netzwerk geschaffen werden. Dazu gehört Mut und Ausdauer, und Köln ist nicht New York oder London. Dennoch ist die Design-Besessene optimistisch, dass es ihrem Kreativviertel klappen könnte, zwar nicht sofort, aber in einigen Jahren. Außerdem will sie in Zukunft mehr inhaltliche Auseinandersetzungen und Diskussionen anschieben. Das jährlich erscheinende Magazin »Inter Views« ist ein Schritt in diese Richtung; im Heft werden durch Interviews und Gespräche Designer und deren Arbeiten detailliert vorgestellt. »Solche Projekte müssen organisch wachsen« sagt Voggenreiter, und schiebt gleich eine weitere Vision hinterher: »Ich würde gern mal ein ganzes Designjahr veranstalten.« Oder doch besser eine Art »Design-Olympiade«, die alle vier Jahre ausgerichtet werde und wo sich die Besten der Besten für eine Teilnahme bewerben könnten. Und das nicht nur in Köln, sondern auf ganz NRW verteilt. Aber das ist nur so eine Idee. Erstmal stehen die »Passagen« im Vordergrund und die langfristige, kreative Entwicklung Ehrenfelds. Andererseits waren die »Passagen« vor 19 Jahren ebenfalls genau das: so eine Idee.
14 bis 20. Januar 2008. Programm unter: www.voggenreiter.com
Die neue Designsammlung des Museums für Angewandte Kunst Köln – europäisches und amerikanisches Interior- und Industrialdesign des 20. Jahrhunderts aus der Sammlung R.G. Winkler – wird in Auswahl erstmals auf der IMM zu sehen sein.