An markigen Leitsätzen mangelte es nicht, im März 1970: »Die im Werkkreis Literatur der Arbeitswelt hergestellten Arbeiten wenden sich vor allem an die Werktätigen, aus deren Bewusstwerden über ihre Klassenlage sie entstehen«, hieß es in der damaligen Programmatik. Hervorgegangen war der lose Verbund aus der Dortmunder »Gruppe 61«, die 1961 Fritz Hüser gegründet hatte. Das Ziel? Gleichberechtigung im Literaturbetrieb: »Die Autoren der Dortmunder Gruppe 61 wollen einen Beitrag leisten zur literarischen Gestaltung aller drängenden Fragen und Erscheinungen unserer von Technik und ‚Wohlstand‘ beherrschten Gegenwart«, so der damalige Chef der Dortmunder Stadtbibliothek. Nachdem sich die Gruppe regional konstituiert hatte, stießen weitere Autoren aus der gesamten Bundesrepublik dazu: F.C. Delius aus Hessen, Clas Ewert-Everwyn aus Düsseldorf, Angelika Mechtel und Erika Runge aus München, Günter Wallraff aus Köln und Peter Paul Zahl aus Berlin.
Günter Wallrafs Industriereportagen
Die Autoren waren allerdings nicht nur literarisch ambitioniert, wie Günter Wallraffs Industriereportagen »Wir brauchen Dich« 1966 und Erika Runges »Bottroper Protokolle« 1968 zeigten. Diese Erfolge beschleunigten eher den Zerfall der Gruppe, weil etwa Runge und Wallraff mit Literatur politisch wirken wollten. Zugleich gerieten neue Themen in den Literaturbetrieb – was eine neue literarische Marke auf dem Markt platzierte und für diese Marke warb.
Auf dem Herbsttreffen 1968 der »Gruppe 61« in Dortmund kam es erstmals zu heftigen Kontroversen über die Ausrichtung. Die internen Kritiker wie Günter Wallraff, Erasmus Schöfer und Peter Schütt drängten darauf, schreibende Arbeiter in die Gruppenarbeit einzubeziehen. Die Herbsttagung 1969 der »Gruppe 61« gilt dann als Initialzündung zur Gründung des Werkkreises – nicht zuletzt, weil eine Lesung mit Preisträgern eines Autorenwettbewerbs, den die internen Kritiker initiiert hatten, im Gegensatz zu den Lesungen der »Gruppe 61« eine ungleich größere Beachtung fand.
Werkstätten in ganz Deutschland
Der Werkkreis formierte sich seit März 1970 in lokalen Werkstätten in der ganzen Bundesrepublik. Zentrum war NRW mit Standorten im Ruhrgebiet, Düsseldorf und Köln. Der Werkkreis hatte zu seiner Hochzeit etwa 25 örtliche Werkstätten mit zusammen über 300 Mitgliedern. In einem ersten Rückblick nach zehn Jahren zog man eine stolze Bilanz: 30 Bücher waren erschienen, zahlreiche weitere »lokale Basispublikationen«, 24 Titel in einer Fischer-Taschenbuchreihe mit zusammen 630.000 verkauften Exemplaren.
Bereits Mitte der 80er Jahre war von den ursprünglichen Ideen allerdings nur noch wenig übrig. Der Werkkreis konnte seinen Ansprüchen nicht gerecht werden, Arbeiter zum Schreiben zu bringen und politisch Einfluss zu nehmen. Wie die »Gruppe 61« ist auch der Werkkreis nie offiziell beendet worden. Viele der Autor*innen wurden als Kabarettisten, Krimi-Schriftsteller*innen oder Journalist*innen erfolgreich. Man könnte auch sagen, dass der Regionalkrimi insbesondere im Ruhrgebiet in gewisser Hinsicht das Erbe des Werkkreises antrat, weil hier jede Menge Stoff aus der Wirklichkeit gesellschaftskritisch verarbeitet wurde. Es gibt also kein Grab – aber jede Menge Erbschaften.
Festakt am 7. März 2020 im Museum für Kunst und Kulturgeschichte mit einer Podiumsdiskussion mit Dr. Jörg Albrecht (Künstlerischer Leiter der „Burg Hülshoff – Center for Literature“), Dramaturg und Performer Steffen Neupert sowie den (ehemaligen) Werkkreis-Mitgliedern Erasmus Schöfer und Ilse Strater über alte und neue Formen kollektiver künstlerischer Zusammenarbeit. Der Eintritt ist frei, Anmeldung unter anmeldung@stadtdo.de.
Das komplette Jubiläumsprogramm unter www.fhi.dortmund.de