Wie kann Kultur weniger sperrig werden – und wie kann Sprache dabei helfen? Anne Leichtfuß ist Übersetzerin und Simultandolmetscherin für Leichte Sprache. Ein Gespräch über Promi-Klatsch, kryptische Museumstexte und die Frage, wie man griechische Theaterklassiker zugänglich macht – für alle.
kultur.west: Frau Leichtfuß, was ist eigentlich der Unterschied zwischen Leichter und Einfacher Sprache?
LEICHTFUß: Der größte Unterschied ist die Zielgruppe: Die Leichte Sprache richtet sich vor allem an Menschen mit anderen Lernmöglichkeiten, die Einfache Sprache an solche, die Deutsch als Fremdsprache lernen. Der Schwierigkeitsgrad von Leichter Sprache ist noch leichter. Wenn man Fremdsprachen-Niveaus nimmt, ist das etwa A2, bei einfacher Sprache B2. Der größte Unterschied für mich in der Arbeit ist, dass die Leichte Sprache ein festes Regelwerk hat und ich eine Prüfgruppe habe. Immer wenn ich einen Text übersetzt habe, prüfen mindestens zwei Personen aus der Zielgruppe die Verständlichkeit: Funktionieren die Beispiele, die ich gewählt habe, sind die Sätze kurz genug, habe ich Fremdwörter oder Fachbegriffe so erklärt, dass die Person sie verstehen kann? Bei Einfacher Sprache gibt es kein Regelwerk.
kultur.west: Wie genau sieht Ihre Arbeit aus, wenn Sie einen Text übersetzen?
LEICHTFUß: Es gibt zwei Optionen, die eine ist: Ich bekomme einen Text, den ich übersetze. Dann treffe ich mich über Zoom mit zwei bis fünf Prüfer*innen und wir gehen den Text durch. Jeder liest einen Abschnitt und dann frage ich eine einzelne Person: Was ist der Inhalt von diesem Textabschnitt? Worum geht es da? Wenn irgendwer sagt, dass an einer Stelle etwas geändert werden muss, dann wird es geändert und noch einmal geprüft. Und erst wenn alle sagen »jetzt ist der Text gut verständlich« geht er zurück an die Auftraggeber. Wenn es aber ein sehr abstraktes, komplexes Thema ist, oder ein emotional besetztes, ist der Ablauf anders. Ich habe letztens eine Broschüre übersetzt, wo es um Präventionsstrategien bei sexuellem Missbrauch ging. Da habe ich, bevor ich angefangen habe, eine relativ große Gruppe an Prüfer*innen zusammengeholt. Wir haben erst einmal darüber gesprochen: Welches Vokabular kennen die Prüfer*innen? Wie explizit müssen die Beispiele sein, damit sie wissen, wovon ich spreche? Aber wie explizit dürfen sie eben nicht sein, damit es nichts triggert?
kultur.west: Und wenn Sie eine Veranstaltung simultan übersetzen? Da können Sie sich zwischendrin ja nicht mit der Prüfgruppe beraten.
LEICHTFUß: Aber ich bereite mich mit meiner Prüfgruppe vor. Ich bekomme vorab die Folien oder das Redemanuskript und gucke erstmal, welche Begriffe auf den Folien sind der Zielgruppe nicht bekannt. Dann mache ich mir eine Art Glossar zu der Veranstaltung und überprüfe das mit meiner Prüfgruppe. Sie sagen mir, welche Erklärung für sie funktioniert, wo etwas zu kurz ist oder ich ein Beispiel nehmen muss. Wenn ich dann dolmetsche, weicht das manchmal zeitlich sehr davon ab, wie viel oder wie wenig gerade auf der Bühne an Inhalt wiedergegeben wird.
kultur.west: Wer genau ist denn die Zielgruppe Ihrer Texte?
LEICHTFUß: Die Personengruppe, mit der ich am meisten kommuniziere zu meinen Texten, sind Menschen mit anderen Lernmöglichkeiten. Aber die Zielgruppe ist viel größer. Ich habe ein Promi-Klatsch-und-Tratsch-Blog in Leichter Sprache, den lesen ganz viele Menschen, wenn sie Deutsch lernen. Das ist wahrscheinlich unterhaltsamer, als klassische Deutsch-Lern-Texte. Menschen mit Demenz gehören auch zur Zielgruppe. Menschen mit Aphasie, einer Sprachstörung nach einem Schlaganfall oder Autounfall. Oder Menschen, die von Geburt an gehörlos sind – nicht, weil sie eine vereinfachte Version vom Inhalt her bräuchten, sondern die Struktur und Grammatik der Leichten Sprache sind der Deutschen Gebärdensprache ähnlich. Es gibt aber auch viele Situationen, in denen ich dolmetsche oder Texte übersetze, da nutzen alle lieber die Version in Leichter Sprache. Wenn es einen Ratgeber zum Elterngeld in Leichter Sprache gibt, wieso sollte irgendwer den in komplexer Sprache mitnehmen?
kultur.west: Würden Sie sagen, dass Leichte Sprache eine eigene Sprache ist?
LEICHTFUß: Ja. Es hat schon eine eigene Grammatik, eine eigene Struktur. Es gibt aber Möglichkeiten, trotz dieser Struktur auch in der Leichten Sprache einen sehr individuellen Sprachstil zu entwickeln. Die Texte meiner Kolleginnen, mit denen ich eng zusammenarbeite, würde ich überall sofort wiedererkennen, einfach weil sie einen individuellen Tonfall haben. Es gibt natürlich auch eine politische Komponente: Ganz vieles wurde für die Deutsche Gebärdensprache erst möglich, als sie als offizielle Sprache anerkannt wurde. Dadurch, dass die Leichte Sprache das nicht ist, sind ganz viele Sachen nicht möglich. Es gibt zum Beispiel keinen Rechtsanspruch darauf, wenn ich eine Dolmetscherin brauche, beim Arzt, beim Amt, ich habe nur die Option, es privat zu zahlen.
kultur.west: Aber was ist mit dem Rechtsanspruch auf Barrierefreiheit? Fällt das nicht darunter?
LEICHTFUß: Ich hoffe, dass sich an der rechtlichen Situation etwas verändert, dass Menschen einen Rechtsanspruch auf eine Übersetzung in Leichte Sprache haben. Denn in der UN-Behindertenrechtskonvention steht, dass alle ein Anrecht haben auf Informationen in Leichter Sprache in allen ihren Lebensbereichen, dass sie genauso das Recht auf Teilhabe haben, wie alle anderen auch. Bei den Länderprüfungen wird Deutschland immer wieder abgemahnt, weil es zu wenig Leichte Sprache gibt. Ein zu geringes Themenspektrum. Meine Kolleg*innen aus den Prüfgruppen haben genauso vielfältige Interessen, wie alle anderen Menschen da draußen auch. Und zu ganz vielen dieser Themenbereiche wird nie irgendwer Geld in die Hand nehmen und es in Leichte Sprache übersetzen, wenn es nicht eine Rechtsgrundlage gibt.
kultur.west: Sie haben für die Münchner Kammerspiele »Antigone« in Leichte Sprache übersetzt. Wie gut hat das funktioniert?
LEICHTFUß: Es war großartig, ein echtes Abenteuer. Bei den Stücken, wo ich vorher beteiligt war, war das Stück in komplexer Sprache schon fertig und bereit, auf die Bühne gebracht zu werden. Dann habe ich geguckt, was kann man tun, um es zugänglicher zu machen? Zum Beispiel durch eine kurze Einführung in Leichter Sprache. Auch eine simultane Dolmetschung der Stücke habe ich schon gemacht. Aber dass wirklich ein komplettes Stück von Anfang an in Leichter Sprache gedacht und gemacht wurde, das war das erste Mal.
kultur.west: Wie sind Sie dabei vorgegangen?
LEICHTFUß: Angefangen habe ich mit einer ganz klassischen Übersetzung, habe aber schnell gemerkt, dass es mehr als das braucht, anders als bei einem reinen Gebrauchstext. Es muss ein neuer literarischer Text in Leichter Sprache entstehen. Es muss ja schön klingen auf der Bühne und ich kann nicht wie in anderen Texten Fakten erklären. Das heißt, ich musste einerseits Informationen unterbringen, andererseits sollte es sprachlich attraktiv sein. Das habe ich geschrieben und, wie bei anderen Übersetzungstätigkeiten auch, mit meinen Prüfer*innen überprüft. Dann kam das Ensemble dazu und hat die ersten Texte gelesen. Sie haben dann gesagt, wo sich etwas sperrig anhört. Das wurde dann zurückgespielt in die Prüfgruppe. Dann musste ich noch mal eine ganz andere Version finden. Das war super spannend, weil sich das über den ganzen Probenprozess immer weiterentwickelt hat.
kultur.west: Hat die Inszenierung ein anderes Publikum als sonst erreicht?
LEICHTFUß: Viele Institutionen gehen davon aus, dass ihnen das Zielpublikum die Bude einrennt, wenn sie einmal etwas in Leichter Sprache machen. Das braucht ein bisschen mehr Zeit, aber es war auf jeden Fall sichtbar anderes Publikum da.
kultur.west: Nach wie vor gibt es recht wenige Angebote in Leichter Sprache im Kulturbereich – oder ist das ein Wahrnehmungsproblem?
LEICHTFUß: Ganz viele Entwicklungen kommen aus der freien Szene, während viele große Häuser damit eher zögerlich sind. Ich merke bei meinen Anfragen, dass je größer ein Haus ist und je hierarchischer es geführt wird, desto weniger wahrscheinlich ist es, dass etwas passiert. In den allermeisten Fällen ist der Wille dazu in einer Institution auf eine einzelne, engagierte Person zurückführen. Aber wer sitzt in den Entscheidungspositionen? Ein Punkt bei der Leichten Sprache ist, dass man etwas an den Strukturen ändern muss. Bei Gebärdensprache ist das anders: Da steht jemand daneben und gebärdet, ich muss an der Struktur der Veranstaltung nichts verändern. Aber wenn ich mich wirklich mit den Bedürfnissen meiner Zielgruppe auseinandersetze, dann verändert das ganz viel.
kultur.west:Wie könnte man Leichte Sprache sonst noch im Kulturbereich einsetzen?
LEICHTFUß: Es gab zum Beispiel eine Studie dazu, die die Verständlichkeit der Wandtexte in Museen in Relation zur Besuchsdauer gesetzt hat. Die war dreimal so hoch, wenn die Leute die Texte verstehen. Da ist unglaubliches Potential, denn es kann ganz verschiedene Gründe haben, warum jemand einen Wandtext nicht versteht. Vielleicht habe ich keinen akademischen Hintergrund, vielleicht bin ich nicht lange in die Schule gegangen, vielleicht ist Deutsch nicht meine Muttersprache. Für diese Personen ist die Hürde in ein Museum zu gehen, schon groß.
kultur.west: Sind diese Wandtexte denn eine Alternative zu den oft wahnsinnig komplexen Texten in Museen?
LEICHTFUß: Ja, viele Häuser bieten diese Wandtexte als Alternative an. Zum Beispiel in Bonn im Kunstmuseum. Die haben kleine Zettelblöcke neben den Werken, die man abreißen kann. Auf der einen Seite ist es in komplexer Sprache, auf der anderen Seite in Leichter. Die Kunsthalle Osnabrück hat sich vor drei Jahren entschieden, alle Texte nur noch in einfacher Sprache anzubieten. Sie bekommen viel positives Feedback.
Anne Leichtfuß
geboren 1978, studierte Online-Redaktion an der TH Köln. In einem Seminar zu Barrierefreiheit kam die Bonnerin erstmals mit Leichter Sprache in Kontakt und arbeitet inzwischen seit mehr als zehn Jahren als Übersetzerin und Simultandolmetscherin in dem Bereich. Im Februar 2023 wurde das von ihr übersetzte Stück »Anti·gone« an den Münchner Kammerspielen uraufgeführt.