Jasmin Vogel leitet seit 2019 das Kulturforum Witten. Seit 2008 ist sie im Kultursektor tätig und hat verschiedene Innovationsprogramme zur (digitalen) Transformation von Kultur- und Bildungseinrichtungen verantwortet, darunter das EU-Projekt smARTplaces. 2021 wurde sie als »Europäische Kulturmanagerin des Jahres« ausgezeichnet.
»Ich glaube, dass die klassischen Sparten wie die Bühnen oder der Kunstbetrieb, die jetzt noch die größten Batzen kriegen, künftig weniger bekommen werden. Die Karten werden neu gemischt und das ist auch dringend nötig. Dann wird man sich manches so nicht mehr leisten, aber dafür anderes. Zum Beispiel das klassische Theater mit all dem Geld, das da reinfließt: Da wird man sehr genau hingucken müssen, wie man das im Vergleich zu sozio- oder subkulturellen Zentren finanziert. Reden wir in 20 Jahren überhaupt noch über »Sparten«, oder löst sich das auf und alles wird durchlässiger? Das sind Fragen, über die man sprechen muss.
Ein anderer Punkt: Kulturverwaltungen müssen künftig viel stärker zu »Transformationsämtern« werden, und zwar für die Stadtverwaltung als Ganzes. Da könnten Kulturämter mit ihren Kompetenzen eine Schlüsselposition einnehmen. Schon jetzt halten Methoden aus dem Innovationsbereich wie Design Thinking oder künstlerisch-kreative Methoden des Kulturbereichs Einzug in die Personalämter. Auch die Bibliotheken, die Musik oder die Bildende Kunst sind ja ebenfalls erprobt mit Mitteln künstlerischer Praxis und könnten so für den mentalen Umbau der Verwaltungen wichtig werden. Dann würde nicht mehr nur die Kunst selbst – also das Schöne, Wahre und Gute im Goethe’schen Sinne – sondern »die Kultur« insgesamt das öffentliche Gemeinwesen stärken und auf diesem Wege zusätzlich an Bedeutung gewinnen.
Mit Blick auf die Infrastrukturen wird es einen Unterschied geben zwischen urbanen Zentren, beispielsweise dem Ruhrgebiet oder der Rheinschiene, und dem Ländlichen Raum. Außerhalb der Ballungsgebiete muss man stärker auf Konzentration setzen und auch fragen, ob wirklich alle Arten von Kultureinrichtungen in einem Umkreis von 20 oder 50 Kilometern überall im gleichen Maße vorhanden sein müssen. Ich plädiere dafür Konzepte dezentraler kultureller Nahversorgung. Dann käme man weg von immer neuen Leuchtturmprojekten, die sowieso nie richtig durchfinanziert sind, und stärkt stattdessen das, was lokal gut funktioniert. Man braucht natürlich immer öffentliche Veranstaltungsorte, die identitätsstiftend und für die kulturelle Nahversorgung zuständig sind. Das können Bibliotheken, Heimatmuseen, Archive, Einrichtungen der kulturellen Bildung oder der Soziokultur sein. Natürlich haben auch künstlerische Elfenbeintürme ihre Berechtigung, aber in dieser Dichte sind sie in einer mobilen Gesellschaft nicht notwendig. Es muss vielmehr darum gehen die kulturelle Nahversorgung in der Fläche zu stärken und die notwendigen Ressourcen zur Verfügung stellen, damit diese vor Ort wirken kann. Das ist meine Vision!
Aufgezeichnet von Peter Grabowski