TEXT: NICOLE HARTJE-GRAVE
»Japonisme! Attraktion unserer Zeit, planlose Raserei, die in unserer Kunst alles durchdrungen, alles gesteuert, alles durcheinandergebracht hat, unsere Moden, unsere Stile, sogar unseren Verstand.« Zeitgenössische Kulturkritik aus dem Munde von Adrien Dubouché: Der Mäzen und Keramikliebhaber ließ sich anlässlich der erstmals umfangreichen Präsentation japanischer Kunst auf der Weltausstellung 1878 in Paris über das allgegenwärtige Phänomen der Japan-Begeisterung im damaligen Frankreich aus.
Japan, das war mehr als der Reiz des Exotischen. Mit friedlichen Mitteln hatte sich die fernöstliche Kultur Europas bemächtigt, und ganz Paris nahm Anschauungsunterricht an den Objekten, die nun massenweise zur Verfügung standen. Eine Mode war geboren, wie immer, wenn neuartige Dinge sich verbreiten. Die feine Gesellschaft behängte sich mit Kimonos, stellte Paravents in ihre Salons und erging sich in Teezeremonien. Erst im Laufe der Jahre ebbte die Trendwelle ab und machte einem tieferen Verständnis Platz, für das in erster Linie Künstler und Sammler verantwortlich waren.
Dem Einfluss der japanischen Kunst auf die französische Kultur des ausgehenden 19. Jahrhunderts, dem »Japonisme«, widmet das Museum Folkwang eine mit annähernd 400 Objekten großartig bestückte Ausstellung. Der Fokus liegt dabei auf dem Zeitraum von 1860 bis 1910, der Anfang- und der Hochphase der Japanrezeption in Frankreich, als nahezu alle bedeutenden Impressionisten und ihre Nachfolger – von Manet, Degas, Cézanne, Monet bis Gauguin, van Gogh, Bonnard und Vuillard – sich von japanischen Bildmotiven und Stilmitteln begeistern und inspirieren ließen.
ERZWUNGENE ÖFFNUNG
Das Museum Folkwang, das durch seinen Gründer Karl Ernst Osthaus selbst eine bedeutende Sammlung japanischer Kunstobjekte besitzt, zeigt nicht nur Gemälde und Arbeiten auf Papier. Hinzu kommen eine repräsentative Auswahl der einflussreichen Farbholzschnitte japanischer Meister wie Hokusai, Hiroshige und Kunisada sowie kunstgewerbliche Gegenstände, darunter Wandschirme, Gefäße, Masken und Lackobjekte. Reisefotografien und Plakate runden das Bild ab, das Europa im 19. Jahrhundert von Japan hatte.
Durch den inneren Druck der Reformer und das massive Auftreten der Kolonialmächte, vor allem in Gestalt des amerikanischen Marine-Kommandanten Matthew Perry, war Japan in den 1850er Jahren gezwungen, seine langwährende Isolation aufzugeben. Nach der Proklamation der Meiji-Regierung 1868 hatten auch westliche Nationen endlich die Möglichkeit, Handelsbeziehungen mit dem fernöstlichen Land aufzunehmen und der einsetzenden Euphorie für japanische Erzeugnisse nachzukommen. Schon bald strömten immer mehr japanische Kunstwerke und Alltagsgegenstände, darunter Keramiken, Fächer, Rollbilder und Holzschnitte, in die westlichen Metropolen – wo sie auf den großen Weltausstellungen jener Jahre, 1862 in London, 1867 und 1878 in Paris, zu heißbegehrten Preziosen wurden.
Zunächst war es nur eine kleine Gruppe von Malern, darunter Degas und Manet, die künstlerisch nach neuen Wegen suchten und durch die Beschäftigung mit japanischer Kunst ihre Arbeiten von akademischen Zwängen befreiten. Ihr Hauptinteresse lag auf der Kunst des japanischen Farbholzschnitts, der mit seinen geschwungenen Linien, den kontrastierenden Leerflächen, dem schematisierten Aufbau und seiner Zweidimensionalität ihre Suche nach neuen Ausdruckformen beflügelte.
Die japanische Bild- und Formenwelt spielte in zweierlei Hinsicht eine wichtige Rolle für die Entwicklung der Moderne: Zum einen war sie eine unerschöpfliche Inspirationsquelle für Sujets und Stilmittel; zum anderen diente sie als Bestätigung künstlerischer Ansätze, die die jungen französischen Künstler bereits selbst verfolgten. »Herrlich ist die japanische Ausstellung. Hiroshige ist ein prachtvoller Impressionist. Monet, Rodin und ich sind begeistert. […] Die Japaner bestärken mich in unserer Sehweise«, schrieb Camille Pissarro 1893 an seinen Sohn Lucien. Die Auseinandersetzung mit der fremden Kultur setzte bei den französischen Künstlern einen schöpferischen Prozess in Gang, der nicht nur zu einer Übernahme von Motiven führte, sondern – weit folgenreicher – zu einer Verinnerlichung von Stilmitteln, aus der heraus sie ihre eigenen Bildsprachen formulierten.
Im Mittelpunkt der mit ausgezeichneten Exponaten bestückten Ausstellung, die sowohl aus eigenem Bestand als auch aus internationalen Museen stammen, stehen Spitzenstücke von Vincent van Gogh. Der Maler gilt heute als Hauptvertreter des »Japonisme«, hatten er und sein Bruder Theo doch schon früh damit begonnen, »Ukiyo-e«, »Bilder von der alltäglichen Welt«, zu sammeln, auszustellen und zu verkaufen. Im Herbst 1887 eignete er sich das japanische Bildrepertoire imitierend an, indem er von seinen eigenen Blättern Kopien anfertigte. Er nahm sich drei Motive der »Ukiyo-e« vor: zwei Blätter Hiroshiges – die »Brücke im Regen« und den »Blühenden Pflaumenbaum« – sowie eines von Kesai Eisen, »Japonaiserie«, das den Titel des Japan-Sonderheftes von »Paris illustré« zierte.
Als Van Gogh im Frühjahr 1888 in die Provence, in das »Japan des Südens« übersiedelte, waren seine ersten Gemälde stark von seinen Vorstellungen des Inselstaates beeinflusst. Die asiatischen Farbholzschnitte halfen ihm, in seiner Malerei das Wesentliche zu erfassen und zu einer vereinfachten, stark farbigen Palette zu gelangen. »Meine ganze Arbeit baut sich sozusagen auf den Japanern auf«, schreibt er im Sommer aus Arles. Außer den »Rhonebarken«, die er mit »echten Hokusai-Figuren« belebte, hatte van Gogh im Frühjahr 1888 auch den »Sämann bei Sonnenuntergang« gemalt, ein Hauptwerk seiner Japan-Begeisterung. Nach dem Vorbild von Hiroshiges »Pflaumengarten von Kameido» wird das Bild von einem geneigten Baumstumpf beherrscht, der sich wie eine Kalligraphie in den Vordergrund schiebt. Hinter der Silhouette des Sämanns strömen die Farben der Landschaft zur riesigen, den Horizont berührenden Sonne. Durch den ungleichmäßigen Bildaufbau, die fließende Bewegung und den Mut zu leeren Flächen kam van Gogh der japanischen Kunst hier so nah wie nie zuvor.
Der Maler konnte nicht verstehen, warum die Parallelen, die er zwischen Japan und der Provence entdeckt hatte, andere Künstler nicht motivierten, sich ihm anzuschließen: »Sieh mal: die japanische Malerei ist hochbeliebt, man lässt sich davon beeinflussen, das ist allen Impressionisten gemein, und da sollte man nicht nach Japan gehen, […] sondern in den Süden.« Dass es seinen Zeitgenossen dennoch gelang, das Potenzial der japanischen Kunst auszuschöpfen, zeigen die Werke von Anquetin, Bernard und vor allem von Paul Gauguin. Während Bernard nur sehr selektiv von der japanischen Kunst profitierte, etwa die kräftigen Umrisslinien und die scharfen Diagonalen übernahm, war Gauguin 1888 regelrecht im Japan-Fieber. Er, der seine Ateliers mit »Ukiyo-e« schmückte, gestaltete einen japanischen Fächer, belebte seine Stillleben mit japanischen Objekten und fand durch das Studium der asiatischen Bildästhetik endlich zu einer Lösung seiner maltechnischen Probleme. Von nun an arbeitete er mit großen, häufig geschwungenen und schwarz umrandeten Flächen und ließ damit den Impressionismus endgültig hinter sich.
Allmählich entwickelte sich in Paris ein florierender Markt für japanische Farbholzschnitte. Neben der 1862 von Madame Desoye eröffneten Galerie »La Jonque Chinoise« in der Rue de Rivoli wurde nach 1878 das Geschäft des aus Hamburg stammenden Keramikfabrikanten Siegfried Bing zum Hauptumschlagplatz für fernöstliche Töpferkunst und Holzschnitte. Mit seiner von 1888 an herausgegebenen Monatszeitschrift »Le Japon Artistique« und einer sensationellen Ausstellung japanischer Holzschnitte in der »Ecole des Beaux-Arts« wurde er zur Schlüsselfigur des französischen Japan-Kults. Rund um die Pariser Galerien bildete sich ein lockerer Kreis von Japonisten, zu denen auch Claude Monet gehörte.
DER TRAUM VOM FERNEN OSTEN
Anders als seine Zeitgenossen war Monet fasziniert von der japanischen Flora, sowohl von den damals noch unbekannten Pfingstrosen, Azaleen, Schwertlilien, fernöstlichem Mohn und Chrysanthemen als auch von deren poetischer Darstellung. Bei der Betrachtung des Holzschnitts »Päonie und Schmetterling« schwärmte er: »Hokusai … Wie kraftvoll seine Bilder sind! Schauen Sie sich nur den Schmetterling an, wie er gegen den Wind kämpft.« Zur Vollendung seines Traumes vom Fernen Osten ließ er 1893 in Giverny einen von japanischen Pflanzen gerahmten Seerosenteich anlegen, den eine von Hiroshige inspirierte Brücke überspannte. Die zahlreichen Bilder seines Gartens mit ihren im Licht aufgelösten Seerosen muten noch heute wie moderne Visionen des Japonismus an.
Um den »Japonisme« mit all seinen Facetten zu vermitteln, zeigt die Essener Ausstellung auch Erzeugnisse der angewandten Kunst, schlichte Keramiken, schillernde Lackobjekte und Fächer sowie leuchtend-transparente Wandschirme, die nicht nur Künstler wie Gallé, Rousseau und Carriès, sondern auch Degas, Bonnard, Denis und Vallotton inspirierten. Die japanischen Objekte stammen dabei überwiegend aus der Sammlung Osthaus, der seine Artefakte – wie die ausgestellten Künstler selbst – bei Siegfried Bing und beim Kunstkritiker Philippe Burty erworben hatte. Wie zuletzt in einer Ausstellung vor 25 Jahren treten sie hier erstmals wieder in einen inspirierenden Dialog mit Gemälden, Druckgrafiken und Objekten der französischen Moderne. Erst die Auseinandersetzung mit japanischer Bild- und Farbästhetik ließ die Maler ihre Meisterwerke schaffen.
Museum Folkwang, Essen, bis 18. Januar 2015. Tel.: 0201 / 8845 000. www.museum-folkwang.de