TEXT: NICOLE STRECKER
Irgendwann braucht wohl auch der engagierteste Choreograf eine Pause von Wutschmerz und Weltbemäkelung und will vielleicht mal nur übers eigene Handwerk oder – wohlklingender – die eigene Ästhetik grübeln. Bei Meg Stuart ist es nun soweit. In den ergiebigsten Schreckenskammern der Menschheit hat sie schon gestöbert, hat sich von Liebesmartern, Familienhöllen, Naturkatastrophen, plas-tischer Chirurgie und »Humanoptimierung« oder der Bestialisierung des Menschen durchs Trivial-Entertainment inspirieren lassen. Und immer ist auf ihrer Bühne dann nichts so lebendig wie das Kaputte. Körper, die ein namenloser Schmerz durchschüttelt. Kreaturen, ein bisschen Mensch, ein bisschen Geist, manch-mal auch Monster, getrieben von Instinktreaktionen, von Spasmen, Reflexen und Ticks. Eine Welt des Abnormen, in der Zärtlichkeit nur mit der Entseeltheit von Robotern gegeben werden kann. »Damaged Goods«, beschädigte Ware.
Als Meg Stuart 1994 ihrer Kompanie diesen vielsagenden Namen gab, setzte sie neue ästhetische Trends. Sie wirkte stilbildend, und eigentlich schon immer waren ihre Stücke auch selbstreferenziell, die eigenen Mittel, das Wesen des Körpers und die Tradition der Sparte hinterfragend. In der neuen Produktion nun soll die Meta-Reflexion Programm sein: »Ich wollte ein Stück machen, das abstrakter ist als alles, was ich vorher gemacht habe. Ich habe nicht abgeschlossen mit Theatralität oder narrativem Tanz. Ich möchte nur gerade mal eine andere Perspektive einnehmen«, sagt sie, und will die Tänzer nicht als Persönlichkeiten, sondern als »Gefühls-Körper«, als Träger von energetischen Mustern im Raum arrangieren.
»Violet« heißt die in PACT Zollverein Essen geprobte und uraufgeführte Produktion, denn dort sei ein guter Ort um sich zu konzentrieren und das Publikum sei ausreichend geschult in Sachen zeitgenössischer Tanz. »Violet« – ein Name, eine Farbe, ein Zustand zwischen Rot und Blau? Als romantisches Seelchen mag man »Blumen, Zerbrechlichkeit, Poesie« assoziieren – was die Choreografin supertolerant duldet. Als gesellschaftspolitisch denkendes Hirn die Emanzen-Farbe – was ihr ein ungläubiges Lachen entlockt. Als Mensch mit Meg Stuarts Gemüt hört man bei »Violet« vor allem eines: »violence«, die Gewalt.
Choreografierte Aggressions-Ausbrüche also auch jetzt in Meg Stuarts Abstraktions-Labor, in dem sie sich diesmal nach eigener Aussage »wie ein »Alchemist« fühlen wollte«. So hat sie sich unter anderem mit Büchern über die frühneuzeitlichen Gold-Köche auf ihr neues Stück vorbereitet. »Die Alchemisten hatten einen Traum, eine Überzeugung, und es ist aufregend, wenn Menschen verrückte Ideen haben. Um einfache Metalle in Gold zu verwandeln, haben sie all diese giftigen Subs-tanzen benutzt und wurden oft sehr krank. Also indem sie nach einer Transformation forschten, transformierten sie sich selbst.« Krankheit als Metamorphose. Vor allem der Prozess der Veränderung hätte sie interessiert. Entropie, Verwesung und natürlich: der Tod, der alles verwandelt, vor dem nichts Bestand hat, Ideale, Ideologien, unser Verständnis von Welt, die Liebe. »Um weiter zu kommen, muss man gehen«, sagt sie, unterbricht sich, lacht über sich selbst und spöttelt: »But it’s just a dance piece, hello?!«
»Violet«, 7. (UA) u. 8. Juli 2011, 20 Uhr, PACT Zollverein. Tel.: 0201/81 22 200. www.cznrw.de