Sie sind etwas verpixelt und ein wenig untypisch in ihren Pink- und Rottönen, aber durchaus erkennbar: Sonnenblumen. Die Macher*innen des Literatürk-Festivals haben sie als mahnendes Festivalmotiv ausgesucht, als Erinnerung an das Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen, das durch die progromartigen Angriffe zwischen dem 22. und 28. August 1992 international bekannt wurde. Damals attackierte ein rechtsradikaler Mob zuerst schlafende Menschen in der Zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerber und danach 120 vietnamesische Arbeiter*innen, die im gleichen Wohnblock lebten. Die gezielte rassistisch motivierte Zerstörung und Vertreibung hat bis heute leider nicht an Aktualität verloren.
Los geht’s an langen Tischen
Der weite Begriff der Heimat war immer schon Thema des Literatürk-Festivals. In diesem Jahr ist es mit »Irgendwas mit Heimat« überschrieben und hat erneut Lesungen, Autorengespräche, Konzerte, Schauspiel, Kabarett und ein pralles Rahmenprogramm im Gepäck. Bereits im September hat der Buchpreisträger Saša Stanišić in Essen sein autobiografisches Buch »Herkunft« über seine Flucht aus Jugoslawien und das Aufwachsen in Deutschland vorgestellt und damit ein passendes Intro gesetzt. Offiziell startet Literatürk an langen Tischen mit dem »Gazino Royal«-Abend auf der Zeche Carl – Schriftsteller Imran Ayata und Theatermacher Bülent Kullukcu empfangen Gäste wie den Musiker Elektro Hafiz, den Drag-Bauchtänzer Prince Emrah und den Autoren Selim Özdoğan (11. November). Einen Tag später, am 12. November, stellt Hengameh Yaghobifarah ihr Gegen-Manifest »Eure Heimat ist unser Alptraum« im Grillo-Theater vor und diskutiert mit Max Czollek und Sharon Dodua Otoo.
Der Duft von Apfelkuchen
Das Theater Freudenhaus verlegt in seiner Bearbeitung von Goethes Klassiker die Handlung kurzerhand nach Essen-Eiberg. Im »Ruhrfaust« machen sich vier Leute auf die Suche nach der Zukunft des Ruhrgebiets und verwandeln die Tragödie in eine Komödie (Casa/Grillo-Theater, 14. November). Die türkische Schriftstellerin Ece Temelkuran liest am selben Tag in der Zentralbibliothek aus »Wenn dein Land nicht mehr dein Land ist oder: Sieben Schritte in die Diktatur«. Am 15. November kommt die Comedienne Idil Baydar mit ihrem Soloprogramm »Ghettolektuell« in den Mülheimer Ringlokschuppen.
Karen Köhler, die 2014 mit ihrem Erzählband »Wir haben Raketen geangelt« einen knackigen Überraschungserfolg hingelegt hat, liest in der Essener Buchhandlung Proust aus ihrem heißdiskutierten Debüt-Roman »Miroloi«. Eine junge Frau, die auf einer Insel in einer abgeschirmten Gesellschaft aufwächst, lehnt sich auf gegen die überkommenden Traditionen und versucht, ihre Heimat zu einer besseren zu verwandeln (21. November). Deniz Utlu kommt am 22. November mit seinem irritierenden Roman »Gegen Morgen« in den Mathildenhof. Einen Tag später, am 23. November, treffen sich Feridun Zaimoğlu und der Lyriker Zafer Şenocak zum Gespräch über die »Heimat in des Apfels Kern« in der Zentralbibliothek. Denn – für einen der beiden duftet die deutsche Sprache nach Apfelkuchen.
11. bis 23. November 2019