TEXT: ANDREJ KLAHN
Ein Sterbender in Überlebensgröße: »Loyalistischer Soldat im Moment des Todes«, Robert Capas berühmtestes Foto, stimmt den Betrachter im Düsseldorfer NRW Forum darauf ein, worauf er sich in der Ausstellung »Frontline« einzustellen hat. Auf Bilder, die weh tun. Sie zeigen Leiden in Nahaufnahme, berichten aus aktuellen wie historischen Kampfzonen. Robert Capa hat den »fallenden Soldaten« während des spanischen Bürgerkriegs am 5. September 1936 an der Cordoba-Front aufgenommen. Zu diesem Zeitpunkt war Capa – ein Abenteurer von ausgeprägt republikanischer Gesinnung, der mit bürgerlichem Namen André Friedmann hieß – als Reportage-Fotograf leidlich erfolgreich. Erst dieses Bild, das das Handwerk des Tötens veranschaulichte wie bis dato kaum ein anderes, sollte ihn berühmt machen.
Noch heute zählt »Loyalistischer Soldat im Moment des Todes« zu den bekanntesten Kriegsfotos überhaupt. Ein Sinnbild der Combat-Fotografie, die erst durch die serienmäßige Produktion der handlichen Kleinbildkamera Mitte der 1920er Jahre möglich geworden war. Bei dieser extremen Form der teilnehmenden Kriegsberichterstattung aus kurzer Distanz riskierten Fotografen nicht nur ihr Leben, sie liefen und laufen auch heute noch Gefahr, als Soldaten der öffentlichen Meinung missbraucht zu werden.
Aus heroischer Untersicht hat Capa den Moment festgehalten, in dem der voranstürmende Soldat von der Kugel nach hinten geschleudert wird, den fallenden Körper, die zur Seite gestreckten Arme, das Gewehr in der rechten Hand. Ein Foto, das zu dieser Zeit keineswegs repräsentativ für die Kriegsfotografie war, die überwiegend aus sicherem Abstand agierte. Am 23. September 1936 erschien es – eingebettet in eine Serie – in der französische Illustrierten Vu, ohne große Resonanz. Erst der erneute Abdruck als Einzelbild in Life am 12. Juli 1937 brachte Capa den Durchbruch.
Zusammen mit Henri Cartier-Bresson, David Seymour und George Rodger sollte Capa zehn Jahre später die Fotoagentur »Magnum Photos« gründen; sie alle waren Fotografen, die ihr Renommee auf Schlachtfeldern begründet hatten, wo sich die »entscheidenden Augenblicke«, die Cartier-Bresson später ins Zentrum seiner Foto-Theorie stellen sollte, häufiger und dramatischer als anderswo ereigneten.
Magnum Photos trat für die Interessen der in der Agentur organisierten unabhängigen Fotografen ein. Doch interessierte man sich dort nicht nur für Urheber-, sondern auch für Menschenrechte. Die Fotografen wollten die Welt zeigen, wie sie ist, und sie eben dadurch verändern. Das mag für abgeklärte Ohren ziemlich pathetisch klingen, dem Appell aber, der von ihren Kriegsbildern ausgeht, wird sich der Betrachter heute dennoch kaum entziehen können.
In den 1970er Jahren kamen Zweifel an Capas Augenzeugenschaft auf. Ist, was das Foto zeigt, tatsächlich echt? Könnte Capa nicht vor allem ein unerschrockener Regisseur gewesen sein, mit Gespür für effektvolle Inszenierung? Geprüft wurden Schattenwurf und Armstellung, Gesichtsausdruck und Kleidung, befragt wurden Augenzeugen und Historiker. Capa selbst hatte 1937 auf die Frage nach der Authentizität seiner Fotos geantwortet, dass die Wahrheit die besten Bilder liefere – und die beste Propaganda. Ausgeräumt sind die Zweifel bis heute nicht.
Der Fotograf richtet sich die Wirklichkeit immer auch subjektiv ein, wenn er sie ins Bild setzt. Diese heute so selbstverständliche Feststellung half entscheidend mit, die Fotografie zur Kunst zu nobilitieren. Hat der Betrachter es hingegen mit Reportage-Bildern zu tun, will er nicht an der Realität dessen zweifeln, was er sieht. Dabei sind viele der heute kanonischen Kriegsbilder komponiert worden, von neu verteilten Kanonenkugeln bis hin zu umgruppierten Leichen.
In dem Maße wie die Kriegsberichterstattung seit dem Golf-Krieg 1991 Teil der Kriegsführung geworden ist, sehen sich Bilder vom Krieg einem viel tiefgreifenden Manipulationsverdacht ausgesetzt. Denn es ist nicht mehr der Fotograf, der an der Stellschraube der Fiktionsfreiheit dreht. Die Wirklichkeit bzw. das, was den Kriegsberichterstattern als solche präsentiert wird, steht unter Verdacht. »To go the front« hieß während des Golf-Kriegs im Sprachgebrauch der Reporter, sich in den Medienräumen der militärischen Stützpunkte einzufinden, wo Videos von vermeintlich präzisen Raketeneinschlägen der westlichen Alliierten vorgeführt wurden. Akkreditieren konnten sich ohnehin nur diejenigen, die vorher den »Ground Rules« zugestimmt hatten, die den eingebetteten Journalisten streng definierte Vorgaben für die Berichterstattung machten. Was Fritz J. Raddatz zu behaupten veranlasste: »Verglichen mit der Nachrichtenpolitik im Golfkrieg war die Nazi-Wochenschau ein Dokumentarfilm.«
Den Bildern der fünf aktuellen Magnum-Fotografen, die das NRW Forum den Aufnahmen der Agentur-Gründer gegenüber stellt, ist das Misstrauen gegenüber dem Schauwert des (Bürger-)Krieges in sehr unterschiedlichen Graden und auf ganz verschiedene Weise eingeschrieben. Alle fünf waren im Frühjahr auf den Kampfplätzen der sogenannten Arabellion unterwegs. Der 1974 geborene Moises Saman begleitete in Libyen die Unterstützer Gaddafis, war mit der Kamera auf einer als Massenbegräbnis deklarierten Versammlung zugegen. An dessen Echtheit hat Saman ganz offensichtlich erhebliche Zweifel, wie ein das Bild begleitender Text wissen lässt. Denn die toten Zivilisten, angebliche Opfer eines alliierten Luftschlags, hatte er auch nach Stunden des Wartens nicht gesehen. Ein anderes Foto zeigt einen Mann in Trainingshosen, der sich ein holzgerahmtes Porträt des Diktators vor das Gesicht hält und für die Fotografen posiert.
Auf auffällig demonstrative Weise offeriert sich die Wirklichkeit der Arabellion auch in den Schwarzweiß-Bildern des 1971 geborenen Italieners Alex Majoli. Wild gestikulierende Rebellen, halb vermummte Männer, die auf Gepäcksäcken Platz genommen haben und entschlossen in die Kamera schauen; ein Junge, der erschöpft auf einem Telefonzellendach liegt, mit schlaffem Arm eine Fahne schwenkend und dabei aus dem Augenwinkel zum Fotografen hinüberschaut. Ein Blick, in dem sich das Kalkül mit der Anwesenheit des Fotografen und dem Einfluss der Bilder verrät.
Explosive Aufbruchsstimmung in Nord-Afrika, Abbruch-Atmosphäre auf vielen der Fotos, die die Magnum-Gründer während des Zweiten Weltkriegs etwa in England oder Deutschland fertigen. Behelmte Kinder, bange Blicke der Erwachsenen gen Himmel, ein Junge auf einer von Leichen gesäumten Straße unweit des Konzentrationslagers Bergen-Belsen, ein auf dem Balkon zusammengesackter Soldat, dessen Blutlache sich auf dem Parkettboden ausbreitet.
Man könnte versucht sein zu behaupten, dass die entsetzliche Realität des Krieges die individuelle Handschrift der Fotografen nivelliert. Doch die Ansichten, die der 1983 geborene Schweizer Dominic Nahr und Peter van Agtmael, 1981 in den USA zur Welt gekommen, vom ägyptischen Bürgerkrieg auf dem Tahir-Platz mitgebracht haben, könnten unterschiedlicher kaum sein. Während Nahr sich ins Zentrum des Geschehens begibt und am Tag des Rücktritts von Husni Mubarak demonstrative Triumphposen festhält, geht van Agtmael mit der Kamera auf Distanz, blickt von weit oben auf das Geschehen, um die Demonstranten zum Ornament einer rebellierenden Masse zu abstrahieren.
In dieser nüchternen Reportage, die als Serie den Willen zur konzeptuellen Fotografie erkennen lässt und dabei Assoziationen an die frühbarocke Schlachtenmalerei weckt, formuliert sich nicht zuletzt auch ein Einspruch gegen Capas Glaubenssatz der Kriegsfotografie: »Wenn deine Bilder nicht gut genug sind, warst du nicht nah genug dran.« Manchmal ist es eben nicht verkehrt, Abstand zu halten, wenn alle auf den Fotografen warten.
NRW Forum Düsseldorf: »Frontline«. 24. Sept. 2011 bis 8. Januar 2012. www.nrw-forum.de