TEXT: VOLKER K. BELGHAUS
Es bleibt kein Stein auf dem anderen. Unten, im Stuttgarter Kessel, wird mit dem Abriss des alten Hauptbahnhofs begonnen, und auch der Schlossgarten wird bald umgepflügt, Bäume entwurzelt werden. Oben, »Am Schwarzen Berg« im Stadtteil Burghalde, herrscht bürgerliche Ruhe – dort leben seit den 70er Jahren die Ehepaare Bub und Rau. Man ist zusammen alt geworden und hat sich eingerichtet im Leben, als Lehrer, Arzt und Bibliothekarin. Alles könnte gut sein, bis Peter, der erwachsene Sohn der Raus und Vater von zwei Kindern, plötzlich wieder bei seinen Eltern einzieht – ungepflegt, verzweifelt, unnahbar, allein.
Anna Katharina Hahns Roman »Am Schwarzen Berg« ist die Geschichte einer Erschütterung. Nichts scheint mehr sicher, überall schleichen sich Veränderung und Verfall ein; überall bröckeln und rosten Oberflächen. Peter, von der Mutter als ihr »Schnuck« bis in die Gegenwart verhätschelt und vom kinderlosen Nachbar-Ehepaar Bub als Ersatz-Sohn zum Mörike zitierenden Tagträumer erzogen, kommt einfach nicht klar mit der Welt und ist mit den Erwartungen an ihn überfordert. Leben als immerwährende, sichere Kindheit voll »leuchtendgelbem Kaugummigeruch« funktioniert eben nicht, trotziges Dagegensein ebenso wenig. In Peters altem Kinderzimmer steht indes immer noch der »mitwachsende« Schreibtisch, auf dem als Unterlage die Weltkarte mit den Grenzen von 1979 liegt.
Auch wenn Hahn in ihrem Text lange bei der verständnis- und hilflosen Eltern-Generation bleibt – sie schlägt sich auf keine Seite, gibt keinem Lebensmodell den Vorzug, sondern beschreibt präzise-detailliert die inneren Ausnahmezustände ihrer Figuren und reißt in den kleinsten Banalitäten und Gesten Abgründe auf. Man scheitert gemeinsam und das mit Konsequenz. Am Ende ist ein Sommer vorbei, man sitzt bei Erdbeerbowle und Grillfleisch im Garten der Bubs und wundert sich, wie groß doch die Bäume geworden sind in den Jahren. Alles scheint wieder seine Ordnung zu haben. Glaubt man jedenfalls.
Anna Katharina Hahn: »Am Schwarzen Berg«; Suhrkamp Verlag, Berlin 2012, 236 S., 19,95 Euro